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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 22/2019
Der Inhalt:

Pro und Contra
Gelöbnis vor dem Reichstag?

Die Bundeswehr hat die Vereidigung neuer Rekruten vor dem Reichstag zelebriert. Die einen sind dafür, andere sehen darin einen Beitrag zur Militarisierung. Soll das Gelöbnis in der Form bestehen bleiben? Darüber streiten der Journalist Ludwig Greven und Publik-Forum-Volontärin Viola Rüdele im Pro & Contra
vom 19.11.2019
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Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr beim großen öffentlichen Gelöbnis vor dem Reichstag (Foto: pa / Michael Kappeler)
Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr beim großen öffentlichen Gelöbnis vor dem Reichstag (Foto: pa / Michael Kappeler)

Ludwig Greven:

Ja, es soll vor dem Bundestag bleiben!

Die Deutschen sind ein anti-militaristisches, friedliebendes Volk. Nach zwei von ihnen ausgelösten Weltkriegen nur zu verständlich. Aber eine Welt ohne Waffen und Armeen ist leider unrealistisch – heute mehr denn je. Deutschland unterhält deshalb die Bundeswehr, mehr schlecht als recht. Zur Verteidigung des Landes und des Nato-Bündnisses gegen keineswegs unwahrscheinliche Aggressoren, aber auch für Friedens- und Kriegseinsätze im Ausland. Über sie entscheidet das Parlament, der Bundestag. Deshalb gehören Gelöbnisse der Rekruten genau dorthin: vor das Reichstagsgebäude.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 22/2019 vom 22.11.2019, Seite 8
Die Zerreißprobe
Die Zerreißprobe
Die Theologen Nikolaus Schneider und Dietmar Mieth hatten eine klare Haltung ...

Mit Militarismus hat das nichts zu tun. In dem feierlichen Zeremoniell werden die neuen Soldaten und Soldatinnen vielmehr auf die Werte des Grundgesetzes vereidigt und bekennen sich zu ihnen. Sie sollen Menschenrechte und Leben schützen, Frieden, Freiheit und Sicherheit sichern, auch den Wohlstand und die Freiheit des Handels, von dem Deutschland lebt. Für ihre Mitbürger, für Europa, für andere Menschen in der Welt. Dafür riskieren sie ihr Leben.

Vielen gefällt das nicht. Sie möchten die kriegerische Realität in vielen Regionen der Erde, in Syrien, im Jemen, auch in Europa, in der Ukraine, am liebsten verdrängen. Öffentliche Gelöbnisse stören da. Aber solange die Bundeswehr nötig ist und der Bundestag, stellvertretend für alle Bürger, die Soldaten und Soldatinnen in gefährliche Einsätze schickt, auch in Kriege wie in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan oder in Syrien, wo Bundeswehr-Tornados Aufklärung für Verbündete fliegen, sind wir zur Solidarität mit ihnen verpflichtet. In öffentlichen Gelöbnissen, gerade vor dem Reichstag, bekennen sich Politik und Gesellschaft zu den Mitbürgern und Mitbürgerinnen in Uniform. Daran ist nichts falsch.

Viola Rüdele:

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Nein, das führt zu Militarisierung!

Wenn ich mir die Bilder des öffentlichen Gelöbnisses anschaue, schaudert es mich. Müssen denn das Militär und dessen Bekenntnis zum deutschen Volk auch noch öffentlich gefeiert werden – so prominent vor dem Bundestag und vor mehr als 200 Abgeordneten?

Die Verteidigungsministerin begründet ihre Entscheidung damit, dass die Streitkräfte mehr gesellschaftliche Anerkennung verdienen. Ja, diese Menschen leisten ihren Beitrag für die deutsche Gesellschaft. Aber das machen auch zahlreiche andere Menschen – bei der Feuerwehr, auf Recyclinghöfen, in Schulen und Krankenhäusern. Dass nun gerade der Bundeswehr besondere Ehre zuteil wird, ist ein schlechtes Zeichen. Es passt zur Strategie von Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die Verteidigungsarmee zur »Gestaltungsmacht« auszubauen. Das heißt, sie soll aktiv wirtschaftliche Interessen Deutschlands an anderen Orten der Welt, notfalls militärisch, verteidigen. Und die Bevölkerung soll mit solchen Gelöbnissen an diesen Gedanken gewöhnt werden.

Gerade jetzt, wo weltweit zahlreiche gewaltsame Konflikte toben, wäre dagegen ein Zeichen für Abrüstung gefragt. Und Politiker, die öffentlich Gewalt verdammen. Stattdessen sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beim öffentlichen Gelöbnis: »Es gibt Situationen, in denen es nicht anders geht. In denen Gewalt mit Gewalt beendet werden muss.« Das trifft zwar manchmal zu, sollte Politiker aber motivieren, Konflikte zu lösen, bevor sie eskalieren – statt rückwärtsgewandt alte Traditionen wiederzubeleben, die ein nationalstaatliches Denken fördern und den Einsatz von Waffen legitimieren. Was wir derzeit dringend brauchen, ist mehr internationale Zusammenarbeit – das sichert den Frieden besser als jedes öffentliche Gelöbnis!

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Personalaudioinformationstext:   Ludwig Greven, geboren 1956, ist regelmäßiger Autor von Publik-Forum. Er ist Kriegsdienstverweigerer und Pazifist.

Viola Rüdele, geboren 1992, ist Volontärin bei Publik-Forum.
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Gelöbnis vor dem Reichstag?

Die Bundeswehr hat die Vereidigung neuer Rekruten vor dem Reichstag zelebriert. Die einen sind dafür, andere sehen darin einen Beitrag zur Militarisierung. Soll das Gelöbnis in der Form bestehen bleiben? Darüber streiten der Journalist Ludwig Greven und Publik-Forum-Volontärin Viola Rüdele im Pro & Contra
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Hanna Leinemann 24.11.2019, 18:37 Uhr:
Die Rekrut*innen der Bundeswehr haben sich freiwillig für diesen Beruf entschieden wie z. B. Polizist*innen, Rettungssanitäter*innen, Menschen bei der Feuerwehr, beim Zoll, beim Finanzamt, beim Gericht, Lehrkräfte, Verwaltungsbeamt*innen. Sie alle wissen, daß sie dabei auch ihre Leben riskieren für Frieden, Freiheit, Sicherheit und sogar Wohlstand. - Wir haben keine Wehrpflicht mehr, das weiß auch unsere Verteidigungsministerin AKK; sie hat das öffentliche Gelöbnis vor dem Reichstag parteipolitisch zum Säbelrasseln mißbraucht. Ich bin zutiefst entsetzt darüber und würde gerne wissen, wie die Rekrut*innen dazu stehen. -

Hans Uwe Müller 24.11.2019, 03:42 Uhr:
Öffentliche Gelöbnisse sind eine Herausforderung für alle Beteiligten:
... die Soldatinnen und Soldaten könnten sich fragen, was sie verteidigen, in einer Gesellschaft, die immer mehr Ungerechtigkeit und Entsolidarisierung hervorruft.
... die Bundestagsabgeordneten könnten sich fragen, warum sie, angetrieben vom militärisch-industriellen Komplex, Menschen in Kriege in alle Welt schicken, in Kauf nehmend, dass sie mit unheilvollen, traumatisierenden Erfahrungen hinterher alleine fertig werden müssen. (Von Kriegen mit deutscher Beteiligung sind mehr als 2000 zum Teil schwer traumatisierte Menschen zurück gekommen, und im Wesentlichen abseits der Öffentlichkeit ihrem Schicksal überlassen.)
... die Frauen und Männer der Bundesregierung könnten sich fragen, warum sie die militärische Option immer häufiger als alternativlos darstellen, und damit eigentlich ihr Versagen zugeben.
... die Menschen in Stadt und Land könnten sich fragen, was ihnen nach militärischer Verteidigung noch bleibt.

Joachim Bornhoff 22.11.2019, 15:28 Uhr:
Keine Institution steht in gleicher Weise mit dem Leben für unsere Gesellschaft ein. Das Gelöbnis gehört vor den Reichstag.
Die Argumente von Frau Rüdele sind arm bis manipulativ ("...soll aktiv wirtschaftliche Interessen verteidigen...).
Herr Greven arbeitet allerdings ebenfalls punktuell unreflektiert: "...ZWEI von ihnen ausgelösten Weltkriegen...". Nach dem aktuellen Stand der historischen Forschung ist diese Aussage schlicht falsch.

Georg Lechner 21.11.2019, 19:07 Uhr:
Von Verteidigung (im ursprünglichen Wortsinn) kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Dagegen spricht die gelebte Praxis zumindest ab 1999 und viel Papier (wie die nukleare Erstschlagsoption der NATO, als völkerrechtswidrig 1996 vom IGH erkannt; das Strategiepapier https://www.iss.europa.eu/content/european-defence-proposal-white-paper mit der ausdrücklichen Betonung der Abwendung von der Landesverteidigung und der Hinwendung zu Interventionen und Expeditionskriegszügen - siehe S. 55).
Das ISS ist der außenpolitische Think Tank des EU-Rates.
Der faktische Einsatzzweck der Bundeswehr ist mit der grundgesetzlichen Beschränkung auf die territoriale Landesverteidigung nicht mehr zur Deckung zu bringen.Die militärische Realpolitik der deutschen Regierungen seit 1999 ist grundgesetzwidrig.

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