Pro und Contra
Passen Grün und Gelb zusammen?
Constantin Wißmann:
Ja, das passt zusammen
Mit der FDP und den Grünen ist es ein bisschen wie mit verkrachten Geschwistern. Sie bekriegen sich besonders intensiv und versichern sich immer wieder ihre gegenseitige Abneigung. Aber letztendlich sind sie vom selben Fleisch, und wenn es wirklich drauf ankommt, können sie sich zusammenraufen.
Das Milieu der Grünen und Gelben, sowohl der Spitzenkräfte als auch der Wählerinnen und Wähler, ist sehr ähnlich. In beiden haben die Menschen eher studiert, verdienen eher überdurchschnittlich, machen eher Städtetrips als Pauschalurlaub. Sie gehen in dieselben Restaurants, hören dieselbe Musik, lesen dieselben Bücher. Das allein schon ergibt viele Gemeinsamkeiten – und bei vielen gesellschaftlichen Themen gibt es auch Überschneidungen der Parteien. Etwa wenn es um mehr Rechte für Regenbogenfamilien oder die Legalisierung von Cannabis geht. Gar nicht weit auseinander liegt das jeweilige Verständnis von Rechts- und Innenpolitik, auch betonen beide Parteien, wie wichtig eine schnellere Digitalisierung und eine bessere Bildungspolitik sind.
Natürlich gibt es einen großen Unterschied: Bei der Wirtschafts- und Klimapolitik sind die Grünen für mehr und die FDP für weniger Staat. Aber auch da erscheint ein Zusammenkommen möglich. Der grüne Vordenker Ralf Fücks etwa plädiert seit Jahren für einen »grünen Ordoliberalismus«, also, kurz gesagt, für einen Staat, der die Weichen dafür stellt, dass Unternehmen die nötigen Innovationen schaffen, um die Emissionen drastisch zu senken. Damit könnten sich die Pragmatiker beider Parteien wohl anfreunden. 2017 ist eine Zusammenarbeit übrigens unter anderem daran gescheitert, dass die FDP sich von »Mutti« Merkel benachteiligt sah. Diesmal können sich beide Geschwister ihre Eltern aussuchen.
Ludwig Greven:
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Nein, das geht
gar nicht
Vor einem halben Jahrhundert war die FDP eine Partei der Reformen. Mit der SPD modernisierte und liberalisierte sie in der sozialliberalen Koalition die Bundesrepublik und entwickelte in ihren Freiburger Thesen auch Ideen für den Umweltschutz. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Seit der Wende zur CDU/CSU 1982 ist davon so gut wie nichts geblieben. Die FDP ist eine reine Partei der Wirtschaftsinteressen und ihrer besser verdienenden Wähler, die Freiheit der Unternehmen und Steuersenkungen für Reiche stehen für sie über allem. Nun smarter verpackt von und durch Christian Lindner, aber im Kern unverändert.
Die Kraft der Veränderung sind heute die Grünen. Sie haben als Erste die zentrale Bedeutung des Schutzes von Umwelt und Klima und damit der Lebensgrundlagen der Menschheit erkannt. Getragen von einer breiten gesellschaftlichen Bewegung vor allem der Jungen wollen sie Wirtschaft und Gesellschaft ökologisch zu Nachhaltigkeit umbauen und vergessen dabei den sozialen Zusammenhalt nicht. Es bräuchte viel Fantasie, wie diese beiden fundamental gegensätzlichen Kräfte mit SPD oder Union gemeinsam ein Zukunftsprogramm entwickeln sollten, um Antworten für die gewaltigen Herausforderungen zu finden. Und wie sie es ohne ständige Koalitionskrisen in einem Ampel- oder Jamaikabündnis umsetzen könnten. Am ehesten ginge das wohl noch bei der Digitalisierung und der Bildung. Aber bei zentralen Fragen der Energie- und Verkehrswende, Klimaauflagen für Unternehmen und Verbraucher und der ökosozialen Transformation gäbe es so gut wie keine Gemeinsamkeiten. Ein Bündnis von SPD und Grünen mit veränderungsbereiten Teilen der Union oder eine rotgrüne Minderheitsregierung wären deshalb besser.
Constantin Wißmann ist Redakteur im Ressort »Politik und Gesellschaft« von Publik-Forum.
Ludwig Greven ist freier Journalist und regelmäßiger Autor von Publik-Forum.
Georg Lechner 29.10.2021, 14:27 Uhr:
Im Prinzip sehe ich erhebliche Differenzen (wenn ich daran denke, wie Baerbock von der FDP gerüffelt wurde, als sie die 2% -Marke bei der Rüstung in Frage stellte und angesichts des old-school-Neoliberalismus, den die FDP vertritt - hier sind Konflikte mit der SPD vorprogrammiert). Aber sie werden sich wohl oder übel zusammenraufen müssen. In Ö. sind auch ÖVP und Grüne meilenweit voneinander in den Positionen, aber es war die einzige "atmosphärisch" mögliche Koalition mit Parlamentsmehrheit.
Edwin 14.10.2021, 18:52 Uhr:
Grün+Gelb gefällt mir! Bei unterschiedlichen Ausrichtungen kann nur etwas Positives herauskommen. Gegenpole diskutieren härter und sachorientierter, somit wird steht eine Lösung des Problems im Vordergrund!!
Monika und Christof Bretscher 08.10.2021, 16:06 Uhr:
In Demokratien werden Parteien gewählt wegen ihrer Grundausrichtung, vielleicht auch wegen bestimmter Personen. Sie treten mit dem Anspruch an, regieren zu wollen.Sie leisten nichts anderes als ihre Pflicht, im Falle einer Regierungsbeteiligung mit den anderen Regierungsparteien zusammenzuarbeiten. Zum Wohl des Ganzen, ihre Wähler eingeschlossen. Jeder weiß um die unterschiedlichen Standpunkte. Es geht aber nicht um „reine Lehre“, sondern um für viele tragfähige und notwendige politische Entscheidungen zu treffen. Vielfalt dürfte eher heilsam sein, politischer Sachverstand noch mehr.
Matthias 30.09.2021, 10:14 Uhr:
Gerade weil beide Parteien nicht gut zusammen passen, könnte der Prozess, den sie nun machen (müssen), zwar schmerzhaft werden, aber hoch produktiv: denn dort vollziehen die Personen stellvertretend die Heilung, die eine gemeinschafteliche Gesellschaft braucht. Wenn das glückt, dann wäre viel gewonnen.