Pro und Contra
Tourismus staatlich beschränken?
Eva-Maria Lerch:
Ja, das muss sein!
Am Wochenende rief mich eine Freundin an. Ihre zwanzigjährige Tochter Elena ist aus einem beliebten Partyort in Bulgarien zurückgekehrt – mit Husten, Nierenschmerzen und Fieber. Ein Test bestätigte den bösen Verdacht, dass sie an Covid-19 erkrankt ist. Elena ist nicht die einzige Neuerkrankte in meiner Umgebung, das Kreisgesundheitsamt meldet soeben zehn neue Infektionen. Dabei war unser Landkreis vor den Ferien coronafrei. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um Elena und ihre Eltern und bete, dass sie das gut überstehen. Zugleich bestätigt mich die Nachricht in der Ansicht, dass das Reisen in Risikogebiete verboten werden sollte.
Durch den frühen Lockdown sind wir in Deutschland bei der Ausbreitung des Coronavirus einigermaßen glimpflich davongekommen, aber das war bitter erkämpft. Kinder mussten monatelang auf Unterricht und Freunde verzichten, durften zeitweise nicht mal auf den Spielplatz. Die Gastronomie steht am Abgrund. Hochzeiten mussten abgesagt, Tote in unwürdigem Rahmen beerdigt werden. Und nun wird dieser schmerzlich errungene Erfolg ausgerechnet durch Lustreisen gefährdet, auf die man problemlos mal ein Jahr verzichten könnte. Die Touristen gefährden aber nicht nur sich selbst und ihre Angehörigen daheim, sondern auch die Bevölkerung in den Urlaubsländern: Sie bringen das Virus oft erst dorthin. So sind die Infektionszahlen in Kroatien und Bulgarien seit Beginn der Sommerferien explosionsartig angestiegen.
Das alles macht deutlich, dass man hier nicht allein auf die Eigenverantwortung der Bürger setzen kann. Eine staatliche Beschränkung des Tourismus zum Schutz der Bevölkerung ist im Corona-Jahr 2020 so zwingend notwendig wie Brückengeländer oder die Geschwindigkeitsbegrenzung in geschlossenen Ortschaften. Und je mehr Infektionen dadurch verhindert werden, umso schneller werden wir alle wieder unbesorgt verreisen können.
Britta Baas:
Nein, das ist hilflos!
Das Coronavirus wird bleiben. Weltweit sind mittlerweile mehr als zwanzig Millionen Ansteckungen dokumentiert. Die Dunkelziffer ist hoch. Dass es schon bald einen Impfschutz geben könnte, ist unwahrscheinlich. Also: Keine Reisen mehr? Schon gar nicht in Risikogebiete?
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Das ist keine gute Lösung. Wahr ist: Wer reist, trifft Menschen. Wer Menschen trifft, setzt sich einer Ansteckungsgefahr aus. Aber: Ist das wirklich schon die ganze Wahrheit übers Reisen? »Mit einem Mal betrachten wir andere als Zellhaufen, in denen sich Viren vermehren. Das ist gefährlich. Wir bekommen ein schiefes Menschenbild«, kritisiert der Bonner Philosoph Markus Gabriel den Furor, mit dem aus nötiger Vorsicht radikale Begegnungsverbote gemacht werden.
Gesundheits- und Innenministerium sowie Auswärtiges Amt entscheiden, welche Region der Erde als Risikogebiet gilt. Wenn in den zurückliegenden sieben Tagen mehr als fünfzig Neuinfizierte pro 100 000 Einwohner gezählt wurden, ist die Einstufung da. Ruckzuck kann es passieren, dass man sich als Urlauberin plötzlich in einem Risikogebiet wiederfindet, das bei Reiseantritt noch keines war. Umgekehrt kann ein Risikogebiet, dass man bei früher Buchung mied, zum Zeitpunkt der Reise längst keines mehr sein. Das Virus ist schnell, seine Verbreitung nicht perfekt vorauszusehen.
Radikale Reiseverbote nutzen also nur bedingt. Eines aber tun sie sicher: Sie zerstören interkontinentale Familien. Sie ruinieren Reiseveranstalter. Sie lösen die Verarmung ganzer Landstriche aus. Und sie führen langfristig zu Provinzialismus – eine gefährliche Bürde für multikulturelle Gesellschaften, in denen wir mehrheitlich leben.
Reisen bildet. Das gilt noch immer. Jetzt kann man sich in Verantwortlichkeit weiterbilden. Masken tragen. Abstand halten. In kleinen Gruppen unterwegs sein. Und einen Corona-Test machen. Der hilft. Vor allem anderen.
Britta Baas, geboren 1965, ist Publik-Forum-Redakteurin und Reporterin für besondere Aufgaben. Ihre erste Reise dieses Sommers führte sie – zu zweit – den Main entlang.
Andreas Hoffmann 15.08.2020, 16:14 Uhr:
Der Staat sollte jedoch umfassend über Risiken informieren. Damit ist eine Reise in die Verantwortung der einzelnen Menschen gegeben. Sie sollten dann aber auch die Konsequenzen tragen. So sollten die Kosten von verpflichtenden Testungen selbst getragen werden und nicht von der Allgemeinheit.
Ludger Harhues 14.08.2020, 11:33 Uhr:
Ich bin gegen eine staatliche Einschränkung, da ich meine, das Personen, die sich im Ausland anstecken, dort die nötigen Hygienemaßnahmen nicht eingehalten haben. Dies hätten sie aber auch in Deutschland nicht getan. Und ob sie dies auf Mallorca, am Wannsee oder in der Kölner Innenstadt nicht tun, ist egal. Deswegen haben wir ja auch hier bei z.B. Familienfeiern immer wieder Coronaausbrüche.