Inflation
Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel aussetzen?
Verena Bentele:
Ja, das würde vielen sehr helfen!
Die rasant steigenden Lebensmittelpreise reißen ein großes Loch in die Geldbeutel von ärmeren Menschen. Viele von ihnen können nicht auf Erspartes zurückgreifen. Sie müssen einen wesentlich höheren Teil ihres Geldes für Lebensmittel aufwenden als die meisten anderen. Eine Preissteigerung von 8,5 Prozent im April auf Lebensmittel wie Obst und Gemüse und die Kostenexplosion bei vielen anderen Alltagsprodukten bedroht sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz. Das können wir in einem reichen Land wie Deutschland nicht zulassen, wo es offenbar opportuner ist, die Steuer auf Sprit zu senken, statt Obst und Gemüse günstiger zu machen.
Für Menschen mit kleinen Einkommen und Renten oder Alleinerziehende wäre die Streichung der Mehrwertsteuer auf frische Grundnahrungsmittel eine unmittelbare Entlastung, die sie an der Supermarktkasse sofort spüren würden. Auch die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, die wir als VdK seit Jahren fordern, würde vielen sehr helfen. Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen müssen viel für Medikamente und Gesundheitsartikel ausgeben.
Kritiker bemängeln, eine gestrichene Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel entlaste nach dem Gießkannenprinzip alle gleich, statt gezielt Empfänger von Hartz IV und Grundsicherung zu unterstützen. Für mich ist beides wichtig: Der VdK weist schon lange darauf hin, dass die Regelsätze deutlich erhöht werden müssen.
Aber: Die Grundsicherung ist immer nur das allerletzte Sicherungsnetz. Es muss möglich sein, dass die Menschen von ihrem Lohn und ihrer Rente ihr Leben bezahlen können. Wir können nicht alle Rentner und Alleinerziehenden zum Sozialamt schicken. Das würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter gefährden.
Christoph Meyer:
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Nein, das wäre nicht zielgerichtet!
Wir haben mit den Entlastungspaketen I und II bereits umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Bürger und Unternehmen in diesem Jahr um mehr als 37 Milliarden Euro gezielt zu entlasten. Eine Mehrwertsteuersenkung hingegen wäre nicht zielgerichtet. Welche Erfahrungen haben wir denn aus der Mehrwertsteuersenkung während der Pandemie im zweiten Halbjahr 2020 gesammelt? Diese hatte sich im Portemonnaie kaum bemerkbar gemacht, aber einen hohen Aufwand für Einzelhandel, Gastronomie und Unternehmen verursacht.
Es werden gerade viele unterschiedliche Ideen präsentiert, darunter Mehrwertsteuersenkungen in der einen oder anderen Form. Die Frage der Finanzierung durch Bund, Länder und Kommunen hingegen wird außen vor gelassen. Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, wie eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel ausgestaltet werden soll. Welche Lebensmittel sollen von der Steuer befreit werden? Wer trifft die Auswahl, welche Lebensmittel darunter fallen und welche nicht? Gerade hier gibt es in Politik und Gesellschaft sicherlich unterschiedliche Auffassungen.
Außerdem würde eine Mehrwertsteuersenkung nicht unmittelbar wirken können, sondern erst nach dem entsprechenden Gesetzesverfahren und der Umsetzung durch Supermärkte und Einzelhandel. Die Entlastungspakete I und II setzen wir hingegen bereits um, mit der Abschaffung der EEG-Umlage, der Senkung der Energiesteuer für Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß, dem Heizkostenzuschuss, dem Kinder-Sofortzuschlag, der Anhebung der Pendlerpauschale, der Erhöhung des Grundfreibetrages und dem Neun-Euro-Ticket im ÖPNV.
Verena Bentele ist Präsidentin des größten deutschen Sozialverbandes Vdk, ehemalige Biathletin und war von 2014 bis 2018 Behindertenbeauftragte der Bundesregierung.
Christoph Meyer ist stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, Vorsitzender des Arbeitskreises Haushalt und Finanzen und Landesvorsitzender der Berliner FDP.
Werner Hertler 15.05.2022, 14:07 Uhr:
ich bin gegen den Vorschlag von Frau Bentele. Alle Bürger providieren und der Verlust an Steuern muß auch bedacht werden. Bedürftige müssen entlastet werden. z.B. Rentner mit einer Rente von einer festgelegten Höhe, Harz IV Empfänger etc.
Georg Lechner 14.05.2022, 16:06 Uhr:
Ja, ein Entfall der Mehrwertsteuer auf Brot, Milch, Kartoffeln, Obst und Gemüse wäre angebracht und würde Menschen mit geringem Einkommen etwas entlasten. Die Einnahmenentfälle für die öffentliche Hand wären locker verkraftbar, würde man endlich EU-weit wirksam gegen Steuerflucht (via Briefkastenfirmen und Kryptowährungen), Geldwäsche und Bilanzbetrug vorgehen (mittels Transparanzregeln, wie in "Panama Papers" bereits 2016 angemahnt).
Ursula Schwarz 14.05.2022, 15:34 Uhr:
Bin immer wieder erstaunt, mit welcher Vehemenz unpassende Vorschläge gekippt werden. Das Gesetz zur MWST-Senkung 2020 war einfach schlecht gemacht. Es war ein Schnellschuß vergleichbar mit dem 9-Euro-Ticket. Zur Berechnung der Hartz -IV Sätze wird ein sog. Warenkorb zugrunde gelegt. Aus diesem könnte man alle Lebensmittel steuerfrei stellen.Es gibt sicher noch viele andere machbare Vorschläge. Aber der Wille muß da sein. Wo kommen eigentlich die fin. Mittel für die ständig steigenden Waffenkäufe nicht nur für den Ukraine-Krieg her?