Pro und Contra
Sollen Wohnungskonzerne enteignet werden?
Joanna Kusiak:
Ja, das dient dem Gemeinwohl!
Nach einer Welle von Privatisierungen in den 1990er- und 2000er-Jahren geben Politiker aller Fraktionen nun zu, dass einige Privatisierungen ein Fehler waren. In Berlin beklagen alle Parteien den billigen Ausverkauf von Wohnungen, der zu der aktuell akuten Wohnkrise geführt hat. Doch wie lässt sich ein schwerer politischer Fehler demokratisch rückgängig machen, ohne die Gemeinschaft dafür zahlen zu lassen?
Die Vergesellschaftung bietet einen demokratischen und bezahlbaren Weg, um den politischen Kurs zu ändern und die Gemeinschaft von der Last früherer Fehlentscheidungen zu befreien. Und das auf faire Art und Weise – die zu zahlende Entschädigung basiert auf dem Rechtsprinzip der Interessenabwägung zwischen der Allgemeinheit und den derzeitigen Eigentümern. Damit wird ein Gleichgewicht zwischen dem Marktprinzip und dem Prinzip des Gemeinwohls hergestellt. Schließlich bietet Artikel 15 des Grundgesetzes eine Rechtsgrundlage für eine dringend erforderliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Ressourcen. Bestimmte Arten von Gütern – wie Grund und Boden oder auch Naturschätze – sind für das Überleben der Gemeinschaft entscheidend und müssen daher einen anderen Status haben als gewöhnliche Waren wie Autos oder Kämme.
Eine solche Unterscheidung – und eine demokratische Art der Durchsetzung – könnte für die Überwindung vieler aktueller globaler Krisen entscheidend sein. Aus dieser Perspektive könnten der Artikel 15 und das Prinzip der Vergesellschaftung zu einer rechtlichen »Superpower« der Demokratie werden. Deshalb erhielt der in Berlin organisierte Volksentscheid auch viel internationale Aufmerksamkeit.
Jürgen Michael Schick:
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Nein, das macht Bauen unsicher!
Dass die Mehrheit der Berliner für die Enteignungsinitiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen gestimmt hat, ist nicht verwunderlich. Die Zustimmung ist offenbar als ein Denkzettel an die Politik gerichtet, sich endlich ernsthaft der Probleme auf dem Mietwohnungsmarkt anzunehmen. Allein in Berlin fehlen aktuell rund 80 000 neue Wohnungen pro Jahr. Im Jahr 2020 wurden nur 16 337 Wohnungen fertiggestellt, rund 14 Prozent weniger als im Vorjahr. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Zahl der Baugenehmigungen brach im ersten Halbjahr 2021 noch mal um 28,5 Prozent zum Vorjahreszeitraum ein.
Berlin zeigt, wie man einen Standort für Investoren systematisch unattraktiv machen kann. Kaum ist der neubau-hemmende Mietendeckel weggefallen, sollen nun große Wohnungskonzerne enteignet werden können. Ich bin überzeugt, dass der Mehrheit der Berliner klar ist, dass Enteignungen von Wohnungsunternehmen nicht die Lösung für mehr Wohnungsbau sind. Auch hat die Bevölkerung weiter das Vertrauen in die Politik verloren, als das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig sei. Das hatte die Immobilienwirtschaft schon lange vorher vorausgesagt. Ähnliches droht den Enteignungsplänen. Statt neue Unsicherheit zu schaffen, sollte der neue Berliner Senat alle Energien darauf verwenden, Investitionshemmnisse abzubauen. Dass sich Franziska Giffey für eine rot-grün-rote Landesregierung ausgesprochen hat, macht den von ihr versprochenen Aufbruch für Berlin sicherlich nicht einfacher. Anders auf Bundesebene. Die mögliche Ampelkoalition strebt ein breites Bündnis für bezahlbares Wohnen an. Diese komplexe Herausforderung lässt sich nur mit allen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt lösen.
Joanna Kusiak ist Stadtsoziologin an der Cambridge University und Humboldt Universität zu Berlin sowie Aktivistin bei »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«.
Jürgen Michael Schick ist Präsident des Immobilienverbandes Deutschland.
Jürgen v. Strauwitz 19.11.2021:
Es gibt kein Recht auf Privateigentum an einer Wohnung oder einem Einfamilienhaus, wie auch nicht auf einen Billigflug oder einen SUV, aber es gibt wohl ein Recht auf eine bezahlbare Wohnung, wie ein Recht auf Nachtruhe, auf saubere Luft, auf Trinkwasser. Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen. Wenn man unsere schöne Erde weiter als »Lebensort« für alle erhalten will, müssen wir uns auch Gedanken über den Flächenverbrauch machen. Und weil Grund und Boden ein nicht vermehrbares »Sozialgut« sind, müssten sie zukünftig wieder in die Hand der Kommunen zurück und dürfen keine Spekulationsmasse mehr sein. Also darf man nicht die Wohnungskonzerne und Immobilienverbände fragen.
Paul Hüsson 14.11.2021, 12:20 Uhr:
In unserem Grundgesetz steht: "Eigentum verpflichtet......" Wenn unsere Großkonzerne nach dem Grundgesetz handeln würden, gäbe es diese Diskussion nicht.