Pro und Contra
Brauchen wir einen Boomer-Soli?

Stefan Bach: Ja!
»Die Rente ist sicher« – dieses Versprechen der alten Bundesrepublik gilt heute nicht mehr. Die demografische Schieflage in den sozialen Sicherungssystemen war absehbar, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Doch statt frühzeitig Rücklagen zu bilden, wurde jahrelang ignoriert, was nun akut wird: ein überlastetes Rentensystem, in dem Jüngere überproportional zur Kasse gebeten werden.
Die neue Koalition will steigende Rentenkosten über höhere Beiträge und Steuerzuschüsse finanzieren – zulasten der Erwerbstätigen. An Reformen wie ein höheres Renteneintrittsalter oder die Abschaffung der »Rente mit 63« traut man sich nicht ran. Kürzungen beim Rentenniveau sind daher unausweichlich, wenn die Erwerbstätigen nicht so stark belastet werden sollen und darauf vertrauen sollen, dass sie später auch noch eine auskömmliche Rente bekommen werden. Rentenkürzungen belasten aber die Ruheständler. Und die Altersarmut wächst weiter.
Um die Belastungen innerhalb der Rentnergenerationen umzuverteilen, schlägt das DIW Berlin einen sogenannten Babyboomer-Soli vor – eine Zusatzabgabe auf sämtliche Alterseinkommen oberhalb eines Freibetrags: gesetzliche Renten, Pensionen, Betriebs- und Privatrenten sowie gegebenenfalls auch Kapitaleinkünfte. Mit einem moderaten Soli-Beitrag von zum Beispiel zehn Prozent könnten die unteren 40 Prozent der Ruheständler gezielt entlastet werden, ohne neue Lasten für die Jüngeren zu schaffen. Die Altersarmut würde um bis zu ein Viertel sinken.
Der Boomer-Soli ist also keine Zusatzbelastung für »die Rentner«, sondern eine Umverteilung innerhalb der älteren Generation – von Reich zu Arm. Die einkommensstärksten 20 Prozent würden moderat belastet, die Mehrheit bliebe verschont. Dass wohlhabendere Rentner länger leben und so überproportional vom System profitieren, ist ein weiteres Argument für eine Korrektur. Ergänzende Vorsorge wird potenziell belastet, aber nur bei wenigen.
Alternativen wie die Grundrente greifen zu kurz: Sie erreicht zu wenige. Grundsicherung im Alter oder Wohngeld nimmt etwa die Hälfte der älteren Menschen nicht in Anspruch – aus Unkenntnis, Scham oder Angst vor dem Rückgriff auf Angehörige. Diese Leistungen sind im Übrigen steuerfinanziert, werden also von allen getragen.
Der Boomer-Soli ist kein Ersatz für strukturelle Rentenreformen, aber eine Ergänzung. Er ist schnell wirksam, ökonomisch sinnvoll und generationengerecht. Damit kann die Altersarmut gemindert werden, ohne die junge Generation zu überfordern. Das stärkt letztlich den Generationenvertrag.
Verena Bentele: Nein!
Neben der immer wiederkehrenden Forderung nach einer längeren Lebensarbeitszeit hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nun die Rentendiskussion um eine weitere unnütze Idee bereichert: den »Boomer-Soli«. Wie kann die Babyboomer-Generation es schließlich wagen, zu wenig Kinder zu bekommen und trotzdem den Anspruch haben, im Alter gut zu leben? Um nun die Situation einkommensschwacher Rentnerhaushalte zu verbessern, ohne die Jüngeren direkt zu belasten, schlägt das DIW eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte ab 902 Euro vor. Eine zweite Variante bezieht auch Kapitaleinkünfte über 1048 Euro ein.
Da muss man sich doch fragen: Wo liegt eigentlich das Problem der Wissenschaft, den Blick auch mal auf die zu richten, die wirklich etwas abgeben können? Woher kommt die Vorstellung, dass man von 1000 Euro in Berlin oder Hamburg wie im Schlaraffenland lebt? Das Forschungsinteresse könnte sich auf die Wohlhabenderen richten, wenn es um ein solidarisches Miteinander geht. In Zusammenarbeit mit dem Thinktank Fiscal Future hat der VdK ein Konzept entwickelt, das höhere Einnahmen durch eine sozial gerechte Erbschaftssteuer, eine verfassungsgemäße Vermögenssteuer und eine konsequentere Bekämpfung von Steuervermeidung vorsieht. Das Konzept könnte bis zu 75 Milliarden Euro jährlich einbringen und würde vor allem sehr wohlhabende Personen betreffen.
Im Gegensatz zum Boomer-Soli, der nur innerhalb der Rentenversicherung umverteilt, berücksichtigt unser Konzept alle Formen von Vermögen und Erbschaften bei Menschen jeglichen Alters. So sollten beispielsweise Erbschaften über zwei Millionen Euro und Vermögen ab fünf Millionen Euro stärker besteuert werden. Dies würde nicht die Mehrheit der Rentner belasten, sondern lediglich etwa 300 000 sehr wohlhabende Personen. Das würde die künftigen Aufgaben auf breitere Schultern verteilen und nicht einseitig die älteren Generationen belasten. Ein Gebot aus dem Markusevangelium passt gut: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Dieser Vers fordert uns auf, Verantwortung füreinander zu übernehmen und das Wohl aller zu fördern.
Diese neuen Steuermittel könnten genutzt werden, um die zahlreichen gesamtgesellschaftlichen Leistungen, welche die Renten- und auch die Kranken- und Pflegeversicherung mittlerweile aus ihren Beitragsmitteln aufbringen, zu bezahlen. Damit ließen sich nicht nur die Beitragssätze dauerhaft stabilisieren, sondern auch ein höheres Rentenniveau sowie eine verbesserte Gesundheitsversorgung und Pflege realisieren.
Wissenschaftlich fundiert, christlich und gerecht wäre, dass diejenigen, die mehr haben, auch mehr finanzielle Verantwortung für die Gesellschaft tragen.
Stefan Bach ist Steuerexperte und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Staat im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Verena Bentele ist Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.
