Pro und Contra
Ist das Deutschlandticket noch sinnvoll?

Özlem Ünsal: Ja!
Das Deutschlandticket ist weit mehr als ein Ticket. Es steht für die einfache Idee, dass Mobilität für alle möglich sein muss, unabhängig vom Einkommen, vom Wohnort oder davon, ob man die komplizierten Tarifzonen der verschiedenen Städte versteht. Deshalb halte ich das Ticket für sinnvoll – und für ein Versprechen, das wir nicht leichtfertig aufgeben dürfen.
Seit seiner Einführung hat dieses Ticket das Leben vieler Menschen spürbar erleichtert. Familien können flexibel und ohne vorherige Kalkulation Ausflüge machen. Auszubildende und Studierende kommen ohne finanziellen Druck zur Schule, zur Uni oder zur Arbeit. Menschen, die keinen Pkw besitzen, sind nicht länger benachteiligt. Es geht um alltägliche Freiheit: einfach einsteigen und losfahren können, ohne ständig Kosten abwägen zu müssen.
Außerdem hat das Deutschlandticket etwas geschafft, woran viele vorher gescheitert sind: Es hat den öffentlichen Nahverkehr verständlich gemacht. Die komplizierten Grenzen zwischen Städten, Landkreisen und Verkehrsverbünden spielen nun keine große Rolle mehr. Wer Bus und Bahn nutzt, weiß, was er bezahlt – und dass es bezahlbar bleibt. Dieser Kulturwandel ist ein enormer Fortschritt.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Ein Ticket allein macht noch keinen guten Nahverkehr. Es braucht zuverlässige Busse und Bahnen, gute Verbindungen und eine Infrastruktur, die trägt. Deswegen investieren wir in Bremen weiter in das Angebot, in dichtere Takte, bessere Anbindungen und moderne Verkehrswege. Das Deutschlandticket ist ein Türöffner, aber der Raum dahinter muss gut gestaltet sein. Daran arbeiten wir jeden Tag.
Klar ist außerdem: Damit das Ticket eine Zukunft hat, brauchen wir eine solide finanzielle Grundlage. Diese Verantwortung können Kommunen nicht allein tragen. Bund und Länder müssen gemeinsam sicherstellen, dass die Kosten dauerhaft gestemmt werden können. Mobilität gehört für mich zur öffentlichen Daseinsvorsorge – und die sollte nicht davon abhängen, wie viel Geld gerade im Haushalt übrig ist.
Noch etwas ist mir persönlich besonders wichtig: Das Deutschlandticket sorgt dafür, dass Mobilität nicht zu einem sozialen Trennfaktor wird. Es ermöglicht Teilhabe und schützt vor Ausgrenzung. Es gibt Menschen mehr Unabhängigkeit und damit mehr Würde im Alltag. In Zeiten, in denen viele das Gefühl haben, dass ihnen etwas weggenommen wird, ist dieses Ticket ein Angebot, das verbindet statt spaltet.

Deshalb bin ich überzeugt, dass das Deutschlandticket sinnvoll ist. Es zeigt, wie eine gerechtere und klimafreundlichere Mobilität für alle aussehen kann. Wir sollten diesen Weg weitergehen.
Christian Böttger: Nein!
Mit der Einführung des Deutschlandtickets waren vielfältige Erwartungen verbunden. Vor allem wurde eine erhebliche Verkehrsverlagerung mit positiven Auswirkungen für das Klima prognostiziert. Die Politik äußerte die Hoffnung, dass das Ticket die komplexen und teuren Verwaltungsstrukturen bei Tarif- und Verkehrsverbünden vereinfachen würde. Auch die finanzielle Entlastung von Menschen mit geringem Einkommen wurde als Vorteil benannt.
Nach zweieinhalb Jahren sind die Ergebnisse ernüchternd. Bis heute ist die Finanzierung des Deutschlandtickets nicht gesichert. Bund und Länder stellen drei Milliarden Euro jährlich zur Verfügung, den Verkehrsunternehmen fehlen aber rund fünf Milliarden an Einnahmen. Etliche Betreiber mussten bereits ihr Verkehrsangebot ausdünnen. 2026 sind weitere Kürzungen zu erwarten, erste Unternehmen stehen vor der Insolvenz.
Das Deutschlandticket hat außerdem nur eine geringe Verkehrsverlagerung vom Pkw zu öffentlichen Verkehrsmitteln und entsprechend kaum eine Senkung klimaschädlicher Emissionen bewirkt. Dafür hat sich ein Teil des Fernverkehrs auf Regionallinien verlagert, mit der Folge, dass auf einigen Nebenstrecken der ICE-Verkehr eingestellt wird. Wegen der Überlastung bestimmter Strecken bleiben jetzt regelmäßig Fahrgäste am Bahnsteig stehen. Lust aufs Zugfahren macht das nicht.
Problematisch ist aber vor allem, dass das Ticket eine zusätzliche Nachfrage nach sich zieht, überwiegend im Freizeitverkehr und auf Linien, die schon vorher gut ausgelastet waren. Klimabewusste Verkehrsplaner fordern seit Jahren Konzepte zur Verkehrsvermeidung. Die Flatrate hat den entgegengesetzten Effekt – und schadet dem Klima damit sogar. Die behauptete soziale Wirkung ist ebenfalls gering: Das Deutschlandticket kostet kaum weniger als eine kommunale Zeitkarte. Viele Nutzer haben daher nur einen geringen Vorteil, zudem gibt es in vielen Städten Sozialtickets. Am meisten profitieren Pendler aus den Speckgürteln der Ballungszentren. Sie sparen durch das Deutschlandticket monatlich dreistellige Beträge.
Eine Abschaffung des Deutschlandtickets ist trotz der Nachteile unwahrscheinlich. Die Preiserhöhung zum Januar 2026 ändert an der aktuellen Situation nichts. Angesichts der Tatsache, dass sich das Ticket vor allem für Menschen rechnet, die ohnehin schon viel mit der Bahn fahren, kann sie den Subventionsbedarf allenfalls reduzieren. Ein Ausstieg, verbunden mit der Einführung eines bundesweit einheitlichen und technologisch zeitgemäßen Ticketsystems, wäre der bessere Weg.
Özlem Ünsal (SPD) ist Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung in der Hansestadt Bremen.
Christian Böttger ist Professor für Industrial Marketing, Verkehrswesen und Eisenbahn an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik.




