Pro und Contra
Türkische Schulen in Deutschland?

Elisa Rheinheimer-Chabbi:
Ja, schon aus Gründen der Fairness
Zugegeben, der erste Impuls ist: Bloß nicht! Die Türkei entwickelt sich mehr und mehr in Richtung eines autoritären Staates. Wollen wir solches Gedankengut in Schulen hierzulande erlauben? Doch wir dürfen uns nicht von Reflexen leiten lassen. Schließlich gibt es weltweit deutsche Schulen, sogenannte Auslandsschulen, etwa für Kinder von Diplomaten oder Geschäftsleuten. Und in Deutschland gibt es unter anderem russische und chinesische Gymnasien. Ein »Nein« zu türkischen Schulen wäre daher diskriminierend. So diskriminierend wie die Benachteiligung, die türkischstämmige Schüler vielerorts noch heute an deutschen Schulen erleben. Türkische Schulen könnten im besten Falle zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen, wenn Kinder dort Chancen bekämen, die sie im deutschen Schulsystem nicht erhalten.
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Die Lerninhalte, die an Privatschulen vermittelt werden, kann sich die jeweilige Schule nicht aussuchen: Sie müssen denen öffentlicher Schulen gleichen. Zudem unterstehen solche Schulen den jeweiligen Landesgesetzen.
Die Aufregung um türkische Schulen offenbart eine vorurteilsbeladene Haltung. Als ob alle Deutsch-Türken fanatische Verfassungsfeinde seien, die nur darauf warteten, ihre Kinder in dubiosen Schulen zu gefürchteten Erdogan-Fähnchen-Schwenkern heranzuziehen. Nein, die Türkei ist weit mehr als Erdogan! Im Übrigen wird der nicht ewig herrschen, Schulen aber sind auf Jahrzehnte angelegt. Zweisprachiger Unterricht und das Aufwachsen in einem bikulturellen Umfeld erweitern den Horizont und tragen zu einer weltoffenen Einstellung bei. Warum sonst würden deutsche Eltern ihre Kinder auf französische Schulen schicken? Nur wenn es ums Arabische und Türkische geht, schreien alle auf. Wer immer noch glaubt, man müsse sich für eine Kultur entscheiden, um in Deutschland dazuzugehören, lebt im Gestern.
Viola-Kristin Rüdele:
Nein, Erdogans Einfluss ist zu groß
Drei türkische Schulen in Deutschland wären zwar zahlenmäßig nur gerecht, denn es gibt auch drei deutsche Schulen in der Türkei. Das Problem ist allerdings, dass sich Bund und Länder bei den Verhandlungen dazu leicht von einem autoritären Staat wie der Türkei erpressbar machen lassen. Denn Deutschland reagiert hier reflexartig: Kaum lässt der türkische Präsident Recep Erdogan die deutsche Schule in Izmir schließen, geht das Auswärtige Amt auf dessen Forderungen nach türkischen Schulen in Deutschland ein, die die Türkei schon seit Jahren stellt.
Auch wenn in der Bundesrepublik Vereine – und nicht der türkische Staat – Träger solcher Schulen sind, wird Erdogan Mittel und Wege finden, seinen Einfluss geltend zu machen. Beispiele aus anderen Ländern wie Moldawien oder Äthiopien zeigen, dass die Türkei dort mithilfe der Maarif Foundation versucht, Schulen in Trägerschaft der Gülen-Bewegung zu übernehmen und unliebsame Lehrkräfte zu entfernen.
Zwar unterstehen die Auslandsschulen der deutschen Schulaufsicht, aber die Lehrmethoden und das Personal dürfen von der Schule frei gewählt werden. Dass die türkische Regierung hier eingreift, ist wahrscheinlich. Wer im eigenen Land keinen Wert auf Demokratie und Menschenrechte legt, dem geht es bei den Verhandlungen sicher nicht nur um das Wohl von Schülern in Deutschland – sondern darum, seinen Einflussbereich auszuweiten. Und: Wollte sich die deutsche Regierung wirklich um bessere Integration und kulturelle Bildung von deutsch-türkischen Kindern bemühen, bräuchte es deutlich mehr als drei türkische Schulen in Deutschland. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel, Türkisch als Fremdsprache an noch mehr deutschen Schulen anzubieten. Das stärkt die interkulturelle Verständigung – ganz ohne Erdogans Mitsprache.
Türkische Schulen in Deutschland?
Viola-Kristin Rüdele, geboren 1992, ist Volontärin bei Publik-Forum und in allen drei Ressorts tätig.
Türkische Schulen in Deutschland?
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