Pro und Contra
»Schaden Freiwillige im Globalen Süden mehr als sie nutzen?«
Katharina Heflik:
Ja, denn es fehlt die Qualifikation!
»Etwas für andere tun« ist einer der meistgenannten Gründe, die Freiwillige für ihren Aufenthalt im Globalen Süden nennen. Hinter der Motivation für Freiwilligenarbeit steckt allerdings der White Saviour Complex – die Vorstellung, als weiße Person aus einem europäischen Land Menschen aus Ländern des Globalen Südens retten zu müssen. Irrtümlicherweise gehen Menschen des Globalen Nordens davon aus, sie hätten die Qualifikationen, um in weniger privilegierten Ländern Entwicklungsarbeit zu leisten. Tatsächlich mangelt es den meisten aber nicht nur an entsprechenden Fähigkeiten, sondern auch an Reflexion und Respekt.
Nichts spricht dagegen, eine Auslandserfahrung verbunden mit Arbeit in einem Land des Globalen Südens zu machen. Allerdings sollte mit großem Bedacht ausgewählt werden, welcher Tätigkeit dort nachgegangen wird. Denn nein, 18-jährige Abiturienten sind ohne pädagogische Ausbildung nicht qualifiziert dazu, Kindern im Grundschulalter Englisch oder Mathematik beizubringen. Ganz sicher ist es für Vierjährige auch nicht von Vorteil, in ihrer Tagesbetreuung alle drei Monate eine neue Bezugsperson aus einem fremden Land vorgesetzt zu bekommen, die nicht einmal dieselbe Sprache spricht.
Dass die Lebensumstände, an denen die Freiwilligen etwas ändern wollen, tiefgreifenden, strukturellen Problemen entspringen, die auf den europäischen Kolonialismus zurückzuführen sind, bleibt dabei meist unausgesprochen.
Der Arbeit im Globalen Süden sollte vorausgehen, sich mit der eigenen kolonialistischen und eurozentristischen Sozialisierung auseinanderzusetzen. Und die Arbeit vor Ort sollte nicht durch ebenjene Sozialisierung, sondern durch tatsächliche Qualifikation gerechtfertigt sein.
Jan Gildemeister:
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Nicht, wenn sie vorbereitet werden!
Wer pädagogisch begleitet ein Freiwilliges Internationales Jahr im Globalen Süden macht, ist hinterher in der Regel sensibilisiert für Fragen sozialer Gerechtigkeit und wird häufig zum Multiplikator für globales Lernen. Dieser Lerndienst dauert nicht nur wenige Wochen – wie gewisse Angebote des sogenannten Volontourismus – und bietet den meist jungen Menschen im Gastland Gelegenheit zu nonformalem Lernen durch reflektiertes Miterleben, Wahrnehmen und durch Perspektivwechsel.
Die Partner der deutschen Träger – gemeinnützige Vereine und kirchliche Institutionen – übernehmen dabei in der pädagogischen Begleitung eine wichtige Rolle. Sie haben zudem ein Interesse an der Mithilfe Freiwilliger in ihren Projekten. Deutsche Träger wie ihre Partner suchen ein möglichst partnerschaftliches Verhältnis, zu dem zunehmend auch der Einsatz von Freiwilligen in der Gegenrichtung, also vom Globalen Süden in den Globalen Norden, gehört. Der Austausch zielt auf ein gemeinsames Engagement für mehr Gerechtigkeit und Frieden.
Die berechtigte Kritik bezieht sich zumeist auf kommerzielle, mehrwöchige Angebote ohne umfassende pädagogische Begleitung und ohne »echte Partner« im Globalen Süden. Das strukturelle Nord-Süd-Gefälle und verbreitete Vorurteile sind Herausforderungen, mit denen sich die Träger kritisch auseinandersetzen. Und die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass trotz Reflexion, Sensibilisierung und Begleitung bei einigen Freiwilligen Vorurteile sogar verstärkt werden können. Dennoch: Volontourismus ist etwas anderes als ein qualitativ hochwertiges Freiwilliges Internationales Jahr, das jungen Menschen beruhigt empfohlen werden kann.
Katharina Heflik arbeitet als Freie Journalistin in Berlin und ist bei Zeit Online tätig. Ihren eigenen Einsatz im Afrika südlich der Sahara als Freiwillige vor einigen Jahren sieht sie heute kritisch.
Jan Gildemeister ist Geschäftsführer derAktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). Diese ist Teil der evangelischen Freiwilligendienst-Landschaft.