Pro und Contra
Kirchensteuer abschaffen?
Thomas Seiterich:
Ja, sonst ändert sich nichts in der Kirche!
Ohne die Kirchensteuer würde sich die Kirche endlich des Ernstes der Lage bewusst werden. Seit Jahren schon reden sich die Kirchen die Mitgliederstatistiken schön. Dabei sind die Einnahmen aktuell nur deshalb so hoch, weil es der Wirtschaft im Land so gut geht, nicht weil so viele Leute in der Kirche bleiben – im Gegenteil: Immer mehr Mitglieder verlassen die Kirche. Das sollte der Kirche zu denken geben. Stattdessen ruht sie sich auf den sprudelnden Steuereinnahmen aus. Solange genug Geld da ist, ist der Druck nicht groß genug, etwas grundlegend zu ändern. Wie sollen die Kirchen da attraktiver werden für die Menschen?
Die Kirche muss von einer verwaltenden wieder zu einer gestaltenden Organisation werden! Dafür würde es helfen, die Kirchensteuer abzuschaffen. Dann würden die Mitglieder ihre Gemeinde vor Ort unterstützen – persönlich, freiwillig und unabhängig vom Staat. Das würde das Gemeinschaftsgefühl untereinander stärken. Viele Menschen spenden lieber an eine Kirchengemeinde, die sie kennen, als an eine anonyme Verwaltung. Sie wollen sehen, wie und wo das Geld ausgegeben wird. Und wenn die Pfarrer auf das Geld der Gemeindeglieder angewiesen wären, müssten sie sich stärker an deren Wünschen und Bedürfnissen orientieren – so würde wieder Leben in die Gemeinden kommen.
An die Mitglieder wäre das ein klares Signal: Uns geht es nicht ums Geld. Jeder kann Mitglied sein, ob er zahlt oder nicht. Zudem können die Mitglieder je nachdem, wofür sie spenden, mitentscheiden, wofür die Kirche Geld ausgibt. Die Kirche hätte so auch die Chance, basisdemokratisch zu werden und sich von unten aufzubauen. In den vielen Basisgemeinden auf der ganzen Welt funktioniert dieses Modell schon jetzt wunderbar.
Doch mit der Kirchensteuer wird die Kirche ihre Bräsigkeit nicht los.
Viola Rüdele:
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Nein, das macht die Kirche unsolidarisch!
Geld ist nicht das Problem der Kirche. Die Kirchensteuer abzuschaffen würde vielmehr neue Glaubwürdigkeitsprobleme hervorrufen. Denn damit würde sich die Kirche von einem Solidarprojekt verabschieden. Bislang leistet jedes Mitglied seinen Beitrag, angepasst an seine finanzielle Lage. Und die Kirche verteilt dann die Einnahmen auf die Gemeinden. So ist sichergestellt, dass jede Gemeinde ausreichend versorgt wird – unabhängig davon, wie finanzstark ihre Mitglieder sind. Gerade strukturschwache Gegenden hätten es sonst wohl schwer, einen Pfarrer zu finden, weil sie ihn selbst bezahlen müssten. Dabei sollte die Kirche doch für alle da sein, besonders für die sozial Schwächeren.
Außerdem ist die Kirche mehr als nur Ortsgemeinde. Mit der Kirchensteuer werden auch Diakonie, Kultur und Bildung gefördert. Was würde etwa aus den ganzen christlichen Kindertagesstätten – immerhin die Hälfte aller Kindertagesstätten in Deutschland? Wenn auch hier alle auf Spenden angewiesen wären, käme es zum Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Einrichtungen. Gerade Projekte wie die Gefängnisseelsorge, die nicht so im Fokus der Öffentlichkeit stehen, bekämen dann zu wenig Geld oder müssten viel Geld in Werbung investieren.
Zudem gerieten Gemeinden in ungute Abhängigkeit von ihren Geldgebern, fiele die allgemeine Kirchensteuer weg. Traut sich da eine Pfarrerin noch, sich kritisch mit den Großspendern, zum Beispiel Waffenkonzernen, auseinanderzusetzen? Wie sollen Gemeinden langfristig planen, etwa nachhaltige Projekte anstoßen, wenn die Mitglieder nur den kurzfristigen Erfolg belohnen? Und wer wagt sich dann noch mutig an Neues und vielleicht auch mal Unbequemes, wenn er ständig mit der Angst lebt, bei einem Fehler die eigene Existenzgrundlage zu gefährden? Also: Erhalten wir die Kirchensteuer und damit eine unabhängige und solidarische Kirche!
Viola Rüdele, geboren 1992, ist Volontärin bei Publik-Forum.
Heidrun Meding 03.10.2019, 07:26 Uhr:
Wer sich an das Gleichnis von den Händlern und Geldwechslern im Tempel von Jerusalem erinnert, kann nur folgern: Geld sollte denjenigen, die sich als Kirchen auf diesen Jesus aus Nazareth berufen, nebensächlich sein.
Ein anderes Gleichnis: Seht die Vögel des Himmels. Sie sähen nicht, sie ernten nicht, aber der himmlische Vater ernährt sie doch.
Kirchenvermögen auflösen, Kirchensteuern abschaffen und insbesondere die beiden privilegierten Großkirchen finanziell entmachten!
Dr. Klaus-Stefan Krieger 08.09.2019, 19:16 Uhr:
Die Alternative ist falsch. Entscheidend wäre eine stärkerer Einfluss der Steuerpflichtigen auf die Verwendung der Kirchensteuer. Da sie keine echte Steuer, sondern ein Mitgliedsbeitrag ist, müssen die Mitglieder das Recht haben, über den Einsatz der Mittel zu entscheiden. Der Münchener Kirchenrechlter Prof. Häring hat dazu einen praktikablen Vorschlag gemacht: Spenden an Pfarreien und kirchliche Organisationen werden auf die Kirchensteuerschuld angerechnet.
Korrigiert werden muss auch, dass die Kirchensteuer komplett an die Bistumsleitungen geht, so dass die Ordinariate de facto deren Verwendung bestimmen. Das ist eine Ursache für Fehlentwicklungen z.B. die ständigen Umstrukturierungen, die sinnlos Energie schlucken und zu einer Anonymisierung von Kirche führen.
Josef Göbel 16.08.2019, 11:26 Uhr:
Wichtig ist, dass Kirchenmitgliedschaft nicht gleichzeitig zu einem Vereinsbeitrag(Kirchensteuer)zwingt. Wichtig ist andererseits auch, dass es bei einer wenigstens z.T. öffentlich finanzierten Form bleibt, was die Kirchensteuer zu Zeiten der Volkskirche gewährleistet und was unabhängig macht von den Reichen einer Gemeinde.Deshalb ist weiterhin das "Drei-Säulen-Modell" (Bonhoeffer-Verein, Aktionskreis Halle) für die Kirchenfinanzierung zu empfehlen: Kollekte- Gemeindegeld - Bürgergeld als allgemeine Steuer, die ich der Religions- oder Kultureinrichtung meiner jeweiligen Wahl zuweisen kann. Die Kirchen haben z.Zt. noch so viel Lobby-Macht, dass sie die Einführung eines Bürgergeldes befördern könnten, auch zum eigenen Nutzen, weil die Kirchensteuerfinanzierung angesichts der allgemeinen und nützlichen Teilidentifikation mit einer Institution dazu führen wird, dass man sich auch nicht mehr so verbindlich mit seiner Kirche indentifizieren wird.
Bernhard Ferber 16.08.2019, 08:58 Uhr:
Die ökumenisch organisierte Telefonseelsorge Düsseldorf (jährlich ca. 15.000 Gespräche) mit rund 120 Ehrenamtlichen wird zu 100 Prozent urch Kirchensteuergelder finanziert. Egal? Einfach dicht machen, wenn es nur noch kleinkariert um die Belange der Ortsgemeinden geht?
Gerhard Spitz 12.08.2019, 16:43 Uhr:
Ohne Kirchensteuer müssten sich die Kirche aus manchen caritativen Tätigkeiten zurückziehen. In einer weitgehend entchristlichten Gesellschaft wäre das der Todesstoß. Wir hätten bald die gleichen Verhältnisse wie in den USA: Viele Sekten und fundamentalistische Prediger, sinnvolle Theologie wird kaum noch gehört.
Karl-Heinz Ursprung 09.08.2019, 22:47 Uhr:
Die Gefahr der Abhängigkeit von und Parteilichkeit mit potenten Geldgebern schätze ich schlimmer ein als die Möglichkeit, aus einer mittellosen Lage heraus glaubwürdiger und authentischer in die Gesellschaft einzuwirken.
Mechthild Sahnwaldt 09.08.2019, 19:42 Uhr:
Statt Kirchensteuer, die dann freiwillig weiterlaufen könnte, wünsche ich eine Sozial- und Kultursteuer für alle, denn das sind Gebiete, auf denen die Kirchen Leistungen für alle erbringen.
Paul Haverkamp 09.08.2019, 16:42 Uhr:
Prof. Thomas Schüller, Kirchenrechtler, Universität Münster, formulierte 2015:
„Nicht all das, was rechtlich korrekt ist, ist auch ethisch schon gut. Und die Kirche hat so einen tiefen Fall in ihrer Glaubwürdigkeit erlebt beim Umgang mit dem Vermögen, dass es glaube ich im Moment unabdingbar ist, offensiver und transparenter zu informieren, als sie es rechtlich müsste.“
Doch es gibt noch viel größere Kirchenvermögen. Zum Beispiel in der Kölner Innenstadt, beste Lage. Kirche und Kommerz, hier gehört das ganz eng zusammen.
Denn viele Kathedralen des Konsums haben hier einen besonderen Eigentümer. Mediamarkt, C & A und andere sind nur die Mieter. Über eigene Fonds besitzt die Kirche unter anderem milliardenschwere Kaufhausimmobilien. Aktueller Gesamtwert aller Fonds: 5,6 Milliarden Euro.
Welchen kirchlichen Institutionen das Geld gehört, wird nicht veröffentlicht.
Paul Haverkamp, Lingen