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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 24/2023
Der Inhalt:
Leben & Kultur

Pro und Contra
Soll bei der Organspende die Widerspruchslösung gelten?

vom 12.12.2023
Bisher gilt: Nur wer sich dazu bereit erklärt, kommt als Organspender infrage. Drei Bundesländer wollen dieses Prinzip nun umkehren. Werden so mehr Menschenleben gerettet? Diskutieren Sie mit!
Sollen alle Organspender sein, wenn sie sich nicht dagegen aussprechen? (Foto: istock by Getty / jotily)
Sollen alle Organspender sein, wenn sie sich nicht dagegen aussprechen? (Foto: istock by Getty / jotily)

Karl-Josef Laumann: Ja!

(Foto: PA / Sven Simon)Mehr als 8300 Menschen warten in Deutschland aktuell auf eine Organspende. Im vergangenen Jahr wurden hierzulande nur 2662 Organe gespendet. Unser Ziel muss daher die Steigerung von Organspenden sein. Dazu kann die Widerspruchslösung beitragen.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 24/2023 vom 15.12.2023, Seite 8
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Wenn ein Mensch die Frage, ob er nach seinem Lebensende Organe spenden würde, mit einem klaren »Nein« beantwortet, ist das völlig legitim und nicht zu kritisieren. Das Problem, das hinter den niedrigen Organspendenzahlen in Deutschland steckt, ist aber nicht die grundsätzliche Ablehnung. Schließlich zeigen repräsentative Befragungen, dass 84 Prozent der Bevölkerung der Organspende positiv gegenüberstehen. Die meisten Menschen dokumentieren ihre Spendenbereitschaft leider nicht. Das ist aber aktuell nötig, um die Situation für die Menschen, die auf eine lebensrettende Organspende warten, zu verbessern.

Mit Einführung der Widerspruchslösung müssten stattdessen diejenigen, die nicht spenden möchten, aktiv werden. Auch bei dieser Lösung bleibt die Entscheidung für oder gegen Organspende jedem selbst überlassen. Der große Unterschied ist, dass bei der Widerspruchslösung die Organspende, also die Option, die Menschenleben rettet, vom Sonder- zum Normalfall wird.

Die Erfahrungen unserer europäischen Nachbarn und des Großteils der Partner aus dem Eurotransplant-Verbund zeigen, dass die Einführung der Widerspruchslösung zu mehr Organspenden führt. Als Teil des Eurotransplant-Verbunds, in dem Organspenden aus acht Staaten an passende Empfängerinnen und Empfänger vermittelt werden, bekommen wir seit Jahren mehr Spenden, als von uns einfließen. Wir profitieren indirekt von der Widerspruchslösung in anderen Ländern, aber sperren uns bislang davor, von ihnen zu lernen.

Im Jahr 2020 ist die Einführung der Widerspruchslösung im Bundestag gescheitert. Stattdessen wurde ein Gesetz eingeführt, das auf stärkere Aufklärung setzt – ohne Erfolg: Fatalerweise sind die Spenden in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen. Das ist kein haltbarer Zustand. Damit der Bundestag sich noch mal mit der Frage beschäftigt, hat Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Baden-Württemberg und Hessen einen entsprechenden Vorstoß im Bundesrat eingebracht.

Da mit der Einführung der Widerspruchslösung sehr wahrscheinlich mehr Menschenleben gerettet werden würden sowie die zermürbende Wartezeit verkürzt würde, kann ich nur hoffen, dass wir Erfolg haben werden, den politischen Entscheidungsprozess des Bundestags wieder zu eröffnen.

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Andreas Lob-Hüdepohl: Nein!

(Foto: Deutscher Ethikrat / Oliver Kern)Die mehrfach vom Bundestag abgelehnte »Widerspruchslösung« soll der dramatisch niedrigen Zahl von Organtransplantationen in Deutschland abhelfen – was für ein Täuschungsmanöver! Die eigentlichen Ursachen für diesen Missstand liegen vor allem in den strukturellen Defiziten des Gesundheitswesens.

Zum Beispiel in der völlig unzureichenden Vergütung der Ärzte für die Ansprache und Aufklärung potenzieller Spender. Oder in der unzureichenden Finanzierung der Organentnahme, die für Krankenhäuser oft unwirtschaftlich ist; in der mangelnden Freistellung von Transplantationsbeauftragten in den Kliniken. Oder schlicht beim fehlenden Spendenregister, in dem alle Spendenbereiten registriert sind und deshalb im Bedarfsfall rasch und eindeutig identifiziert werden können, ohne dass im Portemonnaie nach einem Organspendeausweis gekramt werden müsste.

Diese Defizite sind lange bekannt. Deshalb zieht das 2019 vom Bundestag beschlossene »Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende« entsprechende Konsequenzen: verbindliche Freistellung und Finanzierung von Transplantationsbeauftragten; höhere Vergütung für die Entnahmekrankenhäuser. Und die flächendeckende Bereitstellung »neurologischer Konsiliardienste«, die den Hirntod eines Patienten und damit die medizinische Voraussetzung für eine Organentnahme feststellen.

Noch etwas ganz anderes muss bedacht werden: Eine postmortale Organspende wird keinem Leichnam entnommen. Noch existiert das Lebewesen. Zwar sind nach dem Eintreten des Hirntodes alle Hirnfunktionen, die für das Weiterleben entscheidend sind, unwiderruflich erloschen. Alle auf Heilung zielenden Therapieversuche wären absolut zwecklos. Dennoch können Herztätigkeit und Blutkreislauf aufrechterhalten werden, Organe bleiben durchblutet. Das ist die Voraussetzung, damit Organe entnommen und transplantiert werden können. Damit verbunden sind aber bestimmte medizinische Maßnahmen, die bereits in den Sterbeprozess eingreifen und von den üblichen palliativen Maßnahmen abweichen können.

Die Entscheidung für eine Organspende ist auch eine Entscheidung über den eigenen Sterbeprozess. Im Fall der Fälle tritt die Sorge um einen transplantationsbedürftigen anonymen Dritten in den Vordergrund. Ich weiß das. Ich will es so und habe einen Organspendeausweis. Aber weil eine Organspende den Sterbeprozess beeinflusst, muss sie eine freiwillige Spende bleiben. Ansonsten wäre sie eine Organbereitstellungsverpflichtung, der man umständlich widersprechen müsste.

Die Umfrage ist vorbei: so haben unsere Leser abgestimmt!

Soll bei der Organspende die Widerspruchslösung gelten?

Bisher gilt: Nur wer sich dazu bereit erklärt, kommt als Organspender infrage. Drei Bundesländer wollen dieses Prinzip nun umkehren. Werden so mehr Menschenleben gerettet? Diskutieren Sie mit!
30 x Ja!
44 x Nein!
insgesamt abgegebene Stimmen: 74
59%
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Clemens G. Pfeiffer 11.01.2024, 16:55 Uhr:
Vorne weg:In der Not würde ich immer selber auf eine Organspende hoffen!!!
Die größte Sorge ,vielleicht auch Angst bei dem Thema ist :Das dem Menschen der die Organe endnommen bekommt ,keine realen schmerzvermeidenden Medikament mehr gegeben werden;es wird mit dem Hirntod in Verbinung gesetzt,da der Mensch wahrscheinlich nach Stand der heutigen Wissenschaft keinen Schmerz mehr empfindet;weiterhin sind die entnommenen Organe durch die evtl Gabe vo Schmerzmittel zu sehr belastet.
Die Vorstellung evtl doch für einen "Guten Zweck" unter unendlichen Schmerzen " am Ende des Lebens "ausgeweidet "zu werden hindert mich aktuell noch der Organspende zuzustimmen;würde es eine gesetzlich 100 % zugesicherte Gabe von schmerzvermeidenden Medikamenten auch im Hirntodfall geben ,würde ich sofort zum Organspender werden. Mit freundlichen Grüßen C.G.Pfeiffer aus Bielefeld P.S. leider "nicht gesunder Mensch",aber "man kann auch krank alt an Lebensjahren werden wollen"

Werner S. 29.12.2023, 14:50 Uhr:
Ich finde diese ewige Debatte einfach beschämend. Insbesondere gerade unter christlich geprägten Menschen. Ich bin Organspender schon seit meinem 18ten Lebensjahr, das sind inzwischen 43 Jahre. Immer wenn es zu einer Diskussion Organspende kommt, sind die meisten Menschen dafür, sieht man jedoch die Spenderzahlen, bin ich nur erschüttert. Und immer wieder diese scheinheiligkeit, dass niemand das Recht auf fremde Organe hat. Darum geht und ging es nie!!! Es geht nur darum sich zu entscheiden! Und ehrlich gefragt: ist es von Ihnen zu viel verlangt einmal in Ihrem Leben ja oder nein zu sagen? Außerdem ist diese Entscheidung ja nicht für die Ewigkeit, denn Sie können sich ja jederzeit umentscheiden, das ist Ihr gutes Recht. Jeden Tag sterben Menschen unnötig! jeden Tag!

Uta Winkler 28.12.2023, 18:13 Uhr:
Der Aussage von Herrn Laumann kann ich keineswegs zustimmen. Ein Ziel! (hier die Steigerung von Organspenden) durch den Zwang des Widerspruchs erreichen zu wollen ist m.E. absolut nicht demokratisch. Im Gegenteil mir suggeriert diese Verfahrensweise die Hoffnung unserer Politiker, Menschen die nicht in der Lage sind einen Widerspruch einzulegen zur Spende zu verdammen. Die Schlussfolgerung ist mal wieder, das ältere Menschen unbedingt auf die Unterstützung ihrer Familie bzw. von Freunden angewiesen sind.
Traurig wer darauf nicht zurückgreifen kann.
Übrigens ich habe schon seit Jahren einen Organspendeausweis.

Armin 19.12.2023, 15:48 Uhr:
Hier geht es um das qualvolle Warten der Betroffenen und am Ende um Menschenleben. Dagegen steht das Recht auf Nichtstun. Bei einer Abwägung bin ich klar entschieden für die Widerspruchslösung. Eine entsprechende Entscheidung ist unzumutbar. Jedermann muss im Leben weit bedeutsamere Entscheidungen treffen

Ernster Leser 16.12.2023, 18:12 Uhr:
Bei der Diskussion wird vorausgesetzt, dass es ein gemeinsames Ziel sei, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Wer hat dieses Ziel festgelegt? Ich möchte kein gespendetes Organ eines anderen dafür "ausgeschlachteten" Menschen, den man nicht sterben läßt, sondern künstlich nur für diesen Zweck am Leben erhält. Voller Überzeugung bin ich deshalb auch kein Organspender.
Wer das anders sieht, der mag ja FREIWILLIG Spender werden.

Monika und Christof Bretscher 15.12.2023, 17:03 Uhr:
Herr Laumann argumentiert naheliegend technokratisch, um eine bestehende „Lücke“ von bereitgestellten Organen zu verringern oder zu schließen. Die „Lebensrettung“ durch eine Organtransplantation gilt allerdings nicht, sie trifft z.B. bei Nierentransplantationen nicht zu. Dennoch liegt er mit dem „Ja“ zur Widerspruchslösung falsch, weil er den wichtigsten Aspekt einfach ausklammert: Niemand hat ein Recht auf Organe eines anderen Menschen. Eine Großorgan-Transplantation geht meiner Meinung nach zudem über das Menschenrecht einer angemessenen ärztlichen Behandlung hinaus. Ich möchte dazu nicht die Frage der Kosten aufwerfen, denn die betrifft auch andere Bereiche der modernen Medizin Ein verschwindend kleiner Teil der Menschheit kann sich den „Luxus“ fremder Organe leisten, der kein Menschenrecht ist. Diese Sicht öffnet vielleicht den Blick: Niemand kann so tun, als könne er einfach über die Körperorgane fremder Menschen bestimmen. Der Staat sowie nicht, nur der „Spender“ selbst.

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