Pro und Contra
Haben die Kirchen in der Corona-Krise versagt?

Klaus Mertes:
Ja, sie waren mir zu ängstlich!
Pauschale Urteile liegen mir nicht. Viele in der Kirche haben viel Gutes gemacht. Was mir fehlte, das waren und sind lautere Stellungnahmen im Geiste der österlich-pfingstlichen Botschaft: Habt keine Angst! An Pfingsten wird aus einer verängstigten Schar eine Gruppe von Vorwärtsstürmern. Sie überwinden die Angst, so wie Jesus die Angst am Ölberg überwand, und zwar nicht deswegen, weil sie unberechtigt war, sondern obwohl sie berechtigt war.
Das Lob der »Solidarität durch Distanz« aus kirchlichem Mund wurde mir schwer anzuhören. Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes weist in die Gegenrichtung. Solidarität der leiblichen Nähe: Aussätzige berühren, Obdachlose aufnehmen, Weinende in den Arm nehmen, Dementen die Hand halten, Kinder trösten, bei Gewalt intervenieren, Sterbende begleiten. Kann man als Kirche brutale Folgen der Solidarität durch Distanz ansehen und bloß kommentieren: »Muss leider sein«? In Predigten wurden Personen als Egoisten abgestempelt, die für Grundrechte auf die Straße gehen. Grundrechte sind aber auch Rechte der Schwächsten. Gerade bei ihnen kann ihr Aussetzen schlimme, ja tödliche Folgen haben. Die Freiheit, darauf hinzuweisen, gehört zur Würde gerade auch der Schwächsten.
Schließlich: Auf wen setzen wir unsere Hoffnung? Coronaviren wird es immer geben. Keine Forschung, keine Technik, keine Politik wird daran etwas ändern können. Wie viel Macht über unser Leben geben wir also auf Dauer dem Infektionsrisiko? Das Evangelium ist der Sieg über den Allmachtsanspruch der Angst. Das ist es, was die Kirche in Corona-Zeiten über die Unterstützung sinnvoller Infektionsschutz-Maßnahmen hinaus besonders zu sagen hat!
Bettina Schlauraff:
Nein, ich erlebte sie lebendiger denn je!
Am frühen Ostermorgen stand ich gemeinsam mit meinem katholischen Kollegen in vollem Ornat in seiner Kirche. Bei geöffneten Türen und Fenstern sangen wir Osterlieder und entzündeten das Osterlicht. Die Kirche war leer, bis auf eine ältere Schwester. Danach zog ich alleine weiter durch die Dörfer. Der Osterhymnus ertönte, vor den Kirchen standen Menschen. Den ganzen Tag lang haben sie sich das Osterlicht aus den Kirchen geholt. Zu Hause haben sie Gottesdienste gefeiert. An Küchentischen und auf Wohnstubensofas. Den Vorwurf, die Kirchen hätten sich nicht genug um Seelsorge bemüht, lese ich mit Fassungslosigkeit. Sie haben Nähe geschaffen, ohne das gesundheitlich sinnvolle Social Distancing zu unterlaufen. Über Wochen hinweg schicken mir Menschen aus der Gemeinde Gebetsanliegen, die ich öffentlich über »Whatsapp« teile. Plötzlich bin ich mit jungen Eltern und Mittvierzigern, die nie in der Gemeinde auftauchen, im Gespräch über die Kraft des Glaubens. Vor Seniorenheimen spielen regelmäßig Posaunen auf. Auch wenn keine Besuche möglich waren, es fand sich immer eine Schwester, die ein Gebet sprach über einer Sterbenden. Wäscheleinen mit Segenssprüchen und Gebeten hingen vor den Kirchen. Eine Frau erzählte mir, dass sie zum ersten Mal seit fünfzig Jahren alleine in ihrer Dorfkirche saß und tief berührt war. Es wanderten geistliche Worte und tägliche Andachten in Briefen, Videobotschaften und Wurfsendungen in die Häuser. Trost leuchtete in Regenbögen von den Fenstern und Segenssteine lagen überraschend vor der Haustür. Seelsorge fand am Telefon, in E-Mails oder aus dem Autofenster statt. Noch nie war ich so intensiv mit meiner Gemeinde und mit Christen deutschlandweit verbunden. Der Glaube wurde greifbar auch für die, die ihn vielleicht schon vergessen hatten. Nie habe ich Kirche lebendiger erlebt.
Haben die Kirchen in der Corona-Krise versagt?
Bettina Schlauraff, geboren 1973, ist evangelische Pfarrerin und Klinikseelsorgerin im Kirchenkreis
Meiningen.
Corona: Haben die Kirchen versagt?
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Statt dessen sitzen wir jeden Sonntag um 9.30 Uhr vor dem Fernseher und nehmen an den Kath. oder Evangelischen Gottesdienst, dann nach 10.00 Uhr noch über Bibel TV und zwei weiteren Sender an Gottesdiensten in Köln, Österreich oder im Vatikan teil.wir erleben eine Vielfalt ,wie nie zuvor und können wenigsten drei verschiedene Predigten hören und vergleichen.Zwei volle Stunden ist es Glaube in seiner ganzen Vielfalt.Es ist für uns eine wundervolle und tiefbefriedigte Zeit.
Eine Teilnahme an der Heiligen Messe unter Coronabedingungen kommt für uns nicht infrage, ein Besuch der meist leeren Kirche für ein stilles Gebet aber sehr wohl.
Die Krise gab uns die Chance, unseren Glauben anders zu leben, verhärtete Strukturen aufzubrechen, Kirche lebendig zu erfahren. Die vielen kreativen Ansätze geben Mut und machen Hoffnung.
Dies als positiv zu bewerten, ist dennoch kurzsichtig, denn es geschah unter dem negativen Vorzeichen der Einschränkung der Religionsfreiheit, der Aushebelung unseres Grundgesetzes.
Das ist nicht akzeptabel. Die Kirche muss sich lautstark gegen solche Restriktionen zur Wehr setzen.
Ursula Krüger, Salem
Die Kirche befolgt die Anordnungen des Staates statt sich am Wort Gottes zu orientieren. Dieses sagt uns: Gottes Gebote über und vor allem. Warum unterwirft sie sich den Zwangsmaßnahmen des Staates? Hat sie Angst?Wir haben doch die Zusage: „Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir alle Tage.“
Statt sich durch Angst manipulieren zu lassen, sollte die Kirche selbst nach der Wahrheit suchen, z.B. durch umfassende Information über die freien, unabhängigen Medien.
Oder wollen wir uns vom Staat diktieren lassen, was wir zu glauben haben? Die Kirche muss frei sein und ihren Glauben selbstbewusst ausüben dürfen.Die Orientierung am Wort Gottes, an der Botschaft des Evangeliums hat dabei oberste Priorität!
Es braucht klare Entscheidungen auf der Basis unseres Glaubens, ein konsequentes Handeln und ein geschlossenes Auftreten der Kirche. Dringendst! Es könnte schon zu spät sein für die freie Ausübung unseres Glaubens in der Zukunft.
Mit fehlt nach wie vor eine gemeinsame Solidaritätsaktion der kirchlichen Hilfswerke zugunsten der Pandemie-Betroffenen in ihren Partnerländern.
Thomas Kaufhold, Wir sind Kirche
Da hätte Kirche räumlich doch andere Möglichkeiten gehabt. Auch habe ich nichts davon gehört, dass kirchliche Häuser für Obdachlose geöffnet wurden.
Ja, ich habe Kirche in der Coronakrise als ängstlich undfeige erlebt.