Pro und Contra
Mindestlohn in Werkstätten?
Lukas Krämer:
Ja, sonst bleibt man abhängig!
Ich fordere den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten! Rund 300 000 Menschen in Deutschland arbeiten in Werkstätten, sechseinhalb Stunden am Tag, für 180 bis 250 Euro im Monat. Ihr eigentlicher Lohn soll sein: Dass sie überhaupt arbeiten dürfen. Den Gewinn machen andere. Das ist eine Frechheit.
Ich habe selbst fünf Jahre in einer Werkstatt gearbeitet, Wasserhähne geprüft und verpackt und 1,35 Euro in der Stunde verdient. Würden Sie für diesen Lohn arbeiten? Wenn ich als Werkstatt-Beschäftigter in der Mittagspause zu Starbucks gehe und dort einen Kaffee trinke, habe ich alles, was ich am Vormittag verdient habe, schon wieder ausgegeben und bin pleite. Wie soll ich mit diesem Lohn für einen Urlaub sparen? Jeder will doch mal in Urlaub fahren. Als Werkstatt-Beschäftigter bleibt man immer abhängig – von der Grundsicherung und von den Eltern.
Die allermeisten in der Werkstatt bringen ganz normale Leistung, deshalb sollten sie auch den Mindestlohn erhalten. Mein Chef hat immer Druck gemacht, damit wir bis zum Feierabend unsere sechs oder acht Paletten mit Wasserhähnen fertigbekommen. Druck und Stress sind normal. Und Betreuung brauchen die wenigsten.
Ich selbst habe mittlerweile aufgehört in Behindertenwerkstätten zu arbeiten. Hauptberuflich produziere ich Youtube-Videos, in denen ich über Behinderung spreche – und den Mindestlohn fordere. Außerdem arbeite ich im Büro der grünen Bundestagsabgeordneten Corinna Rüffer. Die arbeitenden Menschen mit Behinderung wollen dieselben Rechte haben wie alle anderen Arbeiterinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Deshalb habe ich auf Change.org die Petition #StelltUnsEin – Ich fordere den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten! gestartet.
Jürgen Thewes:
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»Das Ende des billigen Wohlstands«
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Nein, der Druck würde zu groß!
Der Mindestlohn ist nicht der richtige Weg! Um es aber deutlich zu sagen: Ich finde das Entgelt in Werkstätten auch viel zu gering! Aber: Wer in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet, ist in einem sogenannten arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis beschäftigt. Damit hat er viele Schutzrechte: eine Arbeitsplatzgarantie, keine Leistungsverpflichtung und er ist praktisch unkündbar. Wer den Mindestlohn fordert, fordert gleichzeitig den regulären Arbeitnehmerstatus für diese Beschäftigten und damit den Verlust dieser Schutzrechte.
Mit der Einführung des Mindestlohns würde sich der Charakter der Werkstatt komplett verändern, da alle Beschäftigten das höhere Entgelt selbst erwirtschaften müssten. Der Arbeitsdruck würde erheblich steigen.
Damit sich aber die finanzielle Situation für Beschäftigte verbessert, fordern die Werkstatträte Deutschland – das ist die Interessenvertretung der Beschäftigten in Werkstätten auf Bundesebene – das Basisgeld! Das Basisgeld sieht vor, dass jeder berechtigte Mensch pro Monat einen Betrag erhält, der bei siebzig Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens liegt. Das Basisgeld würde aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden. Grundsicherung und ähnliche Transferleistungen würden dann wegfallen. Kosten, die aufgrund der Behinderung anfallen, würden aber zusätzlich gezahlt werden. Menschen, die in einer Werkstatt arbeiten, hätten die Möglichkeit, etwas dazuzuverdienen.
Das Basisgeld ermöglicht durch ausreichend finanzielle Mittel eine wirkliche gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit voller Erwerbsminderung. Es entkoppelt das Einkommen von der Arbeitsleistung – anders als dies beim Mindestlohn der Fall wäre.
Lukas Krämer, geboren 1993, erkrankte als Kind an einer Hirnhautentzündung. Seitdem hat er einen Sprachfehler und lernte weder lesen noch schreiben. Er lebt in Trier.
Jürgen Thewes, geboren 1969, ist im Vorstand der Werkstatträte Deutschland. Durch einen Geburtsfehler ist er kognitiv beeinträchtigt.
Thomas Timmerbeil Werkstattrat 06.07.2021, 10:19 Uhr:
Ich sehe es auch wie die meisten hier, ich finde das Basisgeld ist die bessere alternative. beim Mindestlohn müssten die Beschäftigten den Gewinn in der WFBM selbst erwirtschaften und da würden viele beschäftigte krank werden und wären gezwungen sich in Psychiatrien einweisen zu lassen oder anderweitig krankschreiben zu lassen womit ein Arbeitsausfall für die Werkstatt entsteht, die muss dan ihren bei Einführung des Mindestlohn Nötigen gewinn zur Ausschüttung selbigen zurückschrauben, beziehungsweise sie kann den mindestgewinn nicht erreichen den sie zur Ausschüttung bräuchte Weill zu viele beschäftigte krank werden würden. Logische Konsequenz die Werkstatt Würde auf lange Sicht vermutlich pleite gehen und die beschäftigten sitzen auf der Straße und wären Arbeitslos. Mal abgesehen davon das kein Beschäftigter einer WFBM Seine Besonderen Schutzrechte Verlieren möchte.
Das Basisgeld ist zwar die Bessere alternative keine frage jedoch halte ich den Betrag von 1460Euro für zu niedrig.
Olaf Böhl 08.06.2021, 15:21 Uhr:
Das "Basisgeld zur Gleichstellung voll erwerbsgeminderter Menschen" ist eine von Werkstatträten entwickelte Position. Hier wird die besondere Situation der Beschäftigten berücksichtigt.
Der Mindestlohn in WfbM ist für Beschäftigte der Werkstätten keine Alternative. Wenn Beschäftigte für 38 Stunden in der Woche (Vollzeit) rund Eintausend Euro Netto bekommen, liegen sie immer noch unter dem Existenzminimum und müssen ergänzende Grundsicherung
beantragen. Eine würdevolle Entlohnung ist das nicht! Der damit verbundene Verlust der Schutzrechte (arbeitnehmerähnliches Verhältnis) ist für Beschäftigte ein weiterer Nachteil.
Unklar ist auch das Thema EM-Rente bei einem Mindestlohn.
Das Basisgeld ist unter Berücksichtigung dieser Punkte entwickelt worden und von Werkstatträten auf allen Ebenen (betrieblich sowie auf Landes- und Bundesebene) als Position beschlossen.
Oberflächlig betrachtet scheint der Mindestlohn eine Verbesserung zu sein, tatsächlich aber wäre es eine Verschlechterung.
Kreutzmann Mirko 04.06.2021, 10:17 Uhr:
Der Mindestlohn würde einem Arbeitnehmer Verhältnis gleichkommen
dem zufolge bleibt dann die soziale Komponente auf der Strecke.
Kreutzmann Mirko
Werkstattrat Vorsitzender NBW Ost
Alf Beer 29.05.2021, 22:13 Uhr:
Der Mindestlohn wäre an ein Arbeitnehmerverhältnis gebunden. Das können und wollen die meisten Beschäftigten, die ich kenne nicht.
Raimund Barkam 29.05.2021, 17:04 Uhr:
Nach einem Linkhinweis der Gruppe "Werkstatträte Deutschland" soll ein Basisgeld in Höhe von monatlich 1.450 € für alle WfbM-Beschäftigte eingeführt werden. Wie sähe dabei die Finanzierung des Basisgeldes aus? Ein Mindestwerkstattlohn in Höhe von 450 €, bis zur möglichen Einführung des Basisgeldes, wäre zunächst einmal um 1.000 € preiswerter. Obwohl die Idee des Basisgeldes bereits aus dem Jahre 2019 stammt, war dieses, bis zu meinem Ausscheiden als Protokollführer aus dem Werkstattrat am 01.07.2020 bisher noch kein Thema in der Werkstattratsitzung. Ein Werkstattlohn von z.B. 250 € müsste demnach nur um 200 € aufgestockt werden auf dann 450 €, der dann wohl, soweit die Finanzierung des Basisgeldes geregelt werden kann, nur noch um 1.000 € auf dann 1.450 € aufgestockt werden müsste. Werden die Gewerkschaften dabei wohl mit in Gespräche eingebunden werden können? Ein Mindestlohn von 450 € bedeutet auch keinerlei Kürzungen! Es gibt Werkstätten die über 600 € Lohn zahlen!
[email protected] 28.05.2021, 11:42 Uhr:
Ich finde das Basisgeld von Werkstatträte Deutschland ist die bessere Alternative für die Werkstattbeschäftigten da wir durch den Mindestlohn die Schutzrechte verlieren und wir den Arbeitnehmeränlichen Rechtsstatus verlieren würden.
Detlef Janßen
Vorsitzender Werkstattrat-obw
Raimund Barkam 27.05.2021, 14:59 Uhr:
Bevor ich ab Anfang März 2001 in eine WfbM, nur wegen einer depressiven Erkrankung u. nicht wegen meiner körperlichen Behinderung (GdB 50) kam, war ich zuerst auf dem ersten Arbeitsmarkt bei einer Baumaschinenhandlung im Bürobereich als kaufmän. Angestellter von 1994-1999 tätig.
Wie mir erging es auch noch anderen Kolleginnen und Kollegen in der WfbM. Diese waren zuvor jahrelang als Architekten, Pflegedienstleistende u. -leitende, Journalisten, und Kaufleute tätig.
In den vielfältigsten Arbeitsbereichen der WfbM werden Busse, LKW's und PKW's mit selbstgedruckten Werbefolien beklebt.
Auch die Arbeitsbereiche Grafikdesign, Weblayout, Werbetechnik, Produktwerbung, Foto- u. Textgestaltung, Metallwerkstatt, Verpackung, Gärtnerei, Tischlerei und Büro/Verwaltung sind sehr interessant.
In den WfbM werden nahezu alle möglichen Arbeiten für die deutsche Wirtschaft mitbearbeitet.
Daher wäre ein Mindestlohn, der unabhängig von Grundsicherung und Wohngeld macht, nur gerecht!
Hinrich Nannen 26.05.2021, 20:56 Uhr:
Mit Mindestlohn wären wir Arbeitnehmer und müssten die Geschwindigkeit der Produktion mitgehen um die Arbeit verrichten zu können!
Dieses ist vielen von uns auf Grund einer Behinderung nicht möglich!
Unser jetziger Schutzrahmen würde durch den Mindestlohn wegfallen und wir würden nach kurzer Zeit unsere Grenzen des Machbaren erreichen!
Darum plädieren ich und viele meiner Kollegen für das Basisgeld, das uns ein auskömmliches Leben bieten würde und wir uns weiterentwickeln können, trotz unserer Behinderung.
Keine Frage ist es, dass das jetzige Entgelt viel zu niedrig ist!
Aber jetzt sollte es an der Zeit sein, dass die Allgemeinheit für die Menschen mit Behinderung eintritt.
Auch sollte die Allgemeinheit geschlossen hinter der Inklusion stehen und sie voranbringen!