Pro und Contra
»Judensau« von Kirche entfernen?

Felix Klein:
Ja, denn die Beleidigung bleibt!
Es ist bedauerlich, dass der Streit um die Wittenberger »Judensau« überhaupt vor Gericht gelandet ist. Ich hätte mir gewünscht, dass die evangelische Kirche von sich aus einen Prozess über den Umgang mit dem Relief eingeleitet hätte – jetzt ist sie in der Defensive.
Das Relief bringt zum Ausdruck: Juden sind hier unerwünscht. Bleibt es hängen, wird diese Botschaft als Teil der sogenannten steinernen Predigt der Kirche weiterverbreitet – eine Erklärtafel ändert nichts daran. Das judenfeindliche Werk wirkt beleidigend für jüdische Besucher und Betrachter der Kirche. Zudem können heutige Antisemiten die Plastik nutzen, um ihre Ansichten bestätigt zu sehen. Die evangelische Kirche mit ihrer problematischen Rolle im Dritten Reich sollte sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Sie hat seit 1945 wegweisende Beschlüsse zu ihrem Verhältnis zum Judentum gefasst – die Glaubwürdigkeit dieser Bekenntnisse misst sich aber an ihren konkreten Taten. Anderswo, etwa in Bad Wimpfen, reicht möglicherweise eine einordnende Infotafel – in Wittenberg, wo die »Judensau« besonders beleidigend ist und es noch dazu einen direkten Zusammenhang zu einer unerträglichen judenfeindlichen Luther-Schrift gibt, sicher nicht.
Das Relief in Wittenberg gehört ins Museum – mit einer erklärenden Tafel, die das Werk kontextualisiert. Auch Aspekte des Denkmalschutzes sind demgegenüber nachrangig. Damit die Erinnerung an diese unsägliche Kirchentradition nicht verschwindet, gehört an den bisherigen Standort eine Infotafel mit einem entsprechenden Hinweis. Die Kirche sollte sich an anderen ein Beispiel nehmen: In Berlin wurde vor Kurzem etwa am Walter-Benjamin-Platz ein antisemitischer Text aus dem Boden entfernt. Es ist höchste Zeit, dass mittelalterlicher Judenhass nicht weiterverbreitet wird!
Manfred Becker-Huberti:
Nein, das ist ein wichtiges Mahnmal!
Nicht nur für Juden ist eine Sau wirklich eine echte Schweinerei. Juden ist dieses Tier nicht koscher, Muslimen nicht halal. Im Judentum ist die Bezeichnung »Judensau« eine der übelsten Beleidigungen. Weil das so ist, haben unsere Vorfahren ihren Antisemitismus dadurch ausgedrückt, dass sie ein Schwein bösartig und symbolisch zu Juden in Beziehung setzten. Diese Schmähung spiegelte ihre Einstellung zu den Juden. Daran besteht kein Zweifel; auch nicht daran, dass Theologen, Christen und Kirche(n) an diesem zeittypischen Antisemitismus aktiv mitschuldig geworden sind. Wie sonst wären die Judensäue in die Kirchen gekommen?
Ändert man den Sachverhalt, indem man diesen Bild gewordenen Antisemitismus etwa an der Wittenberger Stadtkirchen entfernt? Mit Sicherheit nicht. Die Historie wird nicht geändert und in der Gegenwart führt das Entfernen eher dazu, dass der Sachverhalt nicht mehr thematisiert wird: Weil die Judensau nicht mehr provoziert, weil sie aus ihrem Zusammenhang gerissen wird, kommt der Frevel nicht mehr zur Sprache. Richtiger ist es, die Reliefs, Schnitzereien oder Bilder überall in Deutschland an ihrem Ort zu lassen, über sie zu stolpern und zu sprechen. Sie sind ein unübersehbarer Zugang zum Antisemitismus unserer Ahnen – und dem von unbelehrbaren Mitmenschen der Gegenwart! Sie liefern einen plastischen Beleg für eine Entwicklung, die Auschwitz erst möglich machte.
Diese Schmähplastiken müssen als Provokation an ihren Standorten erhalten bleiben und Mahnmale sein. Sie helfen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was der Verrat an der christlichen Regel – »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« – für Folgen hat. Wie Salz in einer Wunde müssen die »Judensau«-Reliefs schmerzen. In einem musealen Asyl haben sie dazu keine Chance.
»Judensau« von Kirche entfernen?
i, geboren 1945, ist katholischer Theologe und seit 2007 Honorarprofessor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu Religiösem Brauchtum, Heiligen und Heiligenverehrung.
»Judensau« von Kirche entfernen?
Uns interessiert Ihre Meinung in der aktuellen Umfrage auf www.publik-forum.de/umfrage
Doch das ist wohl eine Grundsatzfrage, wie z.B. auch: Konservierung und 'Denkmalschutz' in Kirchen statt Liturgischer Erneuerung und Anpassung an liturgisches und heutiges theologische Verständnis?
Nur der Betroffene kann sagen, was er fühlt!
Auch nicht betroffene Historiker und Denkmalschützer sollten sich m.E. zurückhalten in der Debatte mit betroffenen Menschen. Ihre Voten sind nachrangig.
Und ich bezweifle nach den Gerichtsurteilen wegen Beleidigungen gegen Renate Künast stark, dass Gerichte, die in Deutschland meistens von nicht diskriminierten Personen repräsentiert werden, die rechten Entscheidungen treffen können über innere Verletzungen von Menschen, die seit Jahrhunderten verfolgt und diskriminiert wurden.
Und: Inzwischen wird bereits eine Verrohung unserer Gesellschaft auch in Medien konstatiert.
Und um gleichzeitig Widerspruch heraus zu fordern, bei allen Antisemiten, Rassisten, Faschisten und Rechten. Die sich so zeigen können, wie auch immer, die Erklärung gar mit Briefkasten versehen sein kann, oder die auch schlimmer reagieren können, wie heute leider üblich. Aber so besser ist, als sonst irgend wo und wie.
Das Mahnmal an der Stadtkirche ist zu einem Ort des Gedenkens, des Lernens, der Mahnung, und der Andacht, und immer wieder auch der Blumen und Kerzen geworden.Dies kann ein Museum nicht leisten.
Zumal sie ggf. kontraproduktiv an unsere so genannten niederen Instinkte appellieren, was den Anbietern und Betrachtern solcher Kirchenkunstwerke nicht unbedingt der Rede wert ist. Auch unsere Kinder haben sich irgendwie dran gewöhnt, meinen wir... Von der Betrachtung einer die Juden zutiefst verachtenden Steinfigur erwarte ich also keine Läuterung.
Mit 70 bestimmen immer noch zu viele Vorurteile und auch Aversionen meine Einstellung und mein Verhalten gegenüber Menschen, die mir fremd sind. Davon lösen kann ich mich nach und nach durch meine konkreten Erfahrungen bei empathischen Begegnungen und durch meine Teilnahme an Aktionen wie AUFSTEHEN GEGEN RASSISMUS. Sehr oft kommt Freude auf.
Natürlich sind diese Reliefs Teil unserer Geschichte..Schlimm genug!!! Jetzt gehören sie in Museen und raus aus den Kirchen, egal wie viele Hinweistafeln versuchen diese Beleidigungen zu erklären..
Ja, wir als die heutigen Christen müssen zu der SAchuld unserer Vorfahren und Kirchen stehen, wir müssen diese Schuld bekennen und darauf hinweise, und sie nicht im Museum unterbringen. Und jeder einzelne muß sagen "Ich als Christ werde alles tun, was ich kann, damit solches nicht wieder vorkommt."