Pro und Contra
Sind die Forderungen der Klimabewegung zu extrem?
Constantin Wißmann:
Der Volksentscheid für ein klimaneutrales Berlin bis 2030 war ein deutliches Statement – nur ganz anders, als von den Initiatoren gedacht. Nur eine Minderheit der Wahlberechtigten nahm überhaupt daran teil, fast die Hälfte von dieser Minderheit stimmte sogar gegen das Vorhaben. Das ist ungewöhnlich für Volksentscheide. Offenbar war es vielen Berlinern ein Bedürfnis, mit ihrem »Nein« ein Zeichen zu setzen. Das Ergebnis reiht sich ein in eine Reihe schlechter Nachrichten für die Klimabewegung und die Grünen. In Berlin fliegen sie aus der Regierung, in einigen Umfragen stehen sie nun hinter der AfD. Im Koalitionsausschuss mussten sie viele Kröten schlucken.
Der Frust darüber ist groß. Einige Aktivisten stellen sogar die Demokratie an sich infrage. Aber in einer Demokratie kommt es eben darauf an, die Menschen mitzunehmen. Und es gibt Gründe dafür, dass dies der Klimabewegung derzeit nicht so gut gelingt. Beim Volksentscheid wusste eigentlich jeder, dass es völlig unrealistisch ist, Berlin in sieben Jahren klimaneutral zu machen. Wichtiger war den Initiatoren aber, »ein Signal zu setzen«. Ähnlich vage blieben sie bei den Kosten. Sie rechneten mit Gesamtbelastungen von 113 Milliarden Euro. Wo das Geld herkommen soll, erläuterten sie aber nicht überzeugend. Zwar erklärten sie richtigerweise, dass kein Klimaschutz ebenfalls Geld koste, ihre eigenen Vorschläge durchzurechnen, unterließen sie aber. Dabei war der Verweis auf naturwissenschaftliche Belege stets ein Grundcredo von Bewegungen wie Fridays for Future. Wofür sie wie viel Geld ausgeben sollen und was das bringt, wollen die Menschen aber genau wissen. Teure Signale gehören wohl nicht dazu.
Auch Klimaminister Robert Habeck von den Grünen macht derzeit die Erfahrung, dass die Menschen nicht einfach so bereit sind, für Klimaschutz tief in die eigene Tasche zu greifen. Natürlich ist es im Sinne des Klimaschutzes sinnvoll, fossil-betriebene Heizungen durch ökologischere Systeme zu ersetzen. Und ja, in skandinavischen Ländern gibt es bereits entsprechende Verbote. Nur gibt es dort auch kommunale Wärmenetze, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Hierzulande sollen das die Hausbesitzer in ein paar Jahren allein stemmen. Auch dieser drastische Vorschlag ist nicht durchgerechnet. Bisher kann niemand sagen, woher die Handwerker und Wärmepumpen kommen sollen. Und solange der Strom für sie aus dem Kohlekraftwerk kommt, bleibt der Nutzen fürs Klima ohnehin zweifelhaft.
Für die allermeisten Menschen steht außer Frage, dass die CO₂-Emissionen sinken müssen. Mit unrealistischen, undurchdachten Forderungen schreckt man sie aber eher ab, als dass man sie gewinnt. Klimawandel-Leugner werden sich darüber freuen.
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Nana Gerritzen:
Nicht die Forderungen der Klimabewegung sind extrem, sondern der Klimawandel, dessen Auswirkungen uns alle betreffen. Es sollte nicht alleinige Aufgabe oder Monopol von Grünen und Klimabewegten sein, ihn begrenzen zu wollen. Mit jedem Jahr, in dem klimapolitisch zu wenig getan wird, wächst die Notwendigkeit, schneller und umfassender zu handeln, was die Kosten für Energiewende und andere Klimaschutzmaßnahmen nur in die Höhe treiben wird. Hinzu kommen die durch das sich wandelnde Klima verursachten Anpassungskosten in allen denkbaren Bereichen und die humanitären Auswirkungen, etwa durch verstärkte Fluchtbewegungen aus stärker betroffenen Regionen im Globalen Süden in weniger betroffene Regionen und anpassungsfähigere (weil reichere) Länder im Globalen Norden.
Gerade erst ist der aktuelle Bericht des Weltklimarats IPCC erschienen, düster wie üblich. Wenn global weiterhin so wenig getan wird, werden Kinder, die heute zur Schule gehen, und junge Erwachsene eine Welt erleben, die bis zu vier Grad wärmer ist. Eine Welt, auf der es mehr Wüsten und weniger fruchtbaren (und bewohnbaren) Boden gibt. Die Forderung, die deutsche Hauptstadt so schnell wie irgend möglich klimaneutral zu machen, wäre ein deutlicher Schritt in die Richtung gewesen, die wir ohnehin einschlagen müssen. Natürlich mit Symbolcharakter, das ambitionierte Ziel wäre wahrscheinlich nicht einzuhalten gewesen und Berlin ist nur ein kleiner Flecken auf der Erde – und noch nicht einmal ein besonders emissionsintensiver Industriestandort. Aber für ein Land, das zu den Top Ten der weltgrößten CO2-Verursacher gehört, sollte es sich verbieten, zuerst nach der Verantwortung der anderen zu fragen.
Der gescheiterte Berliner Volksentscheid, die Welle der Empörung nach Habecks Heizungsplänen und die miesen Umfrageergebnisse der Grünen zeigen, dass klimapolitische Maßnahmen in der Bevölkerung unbeliebt sind, wenn sie konkrete Einschränkungen mit sich bringen und Kosten verursachen. Das ist verständlich, aber kurzsichtig. Die Ampel reagiert mit einem »Modernisierungspaket für Klimaschutz«, das versucht, den Status quo weitgehend zu erhalten. Es schont die heutigen Wähler, um ihnen und folgenden Generationen später umso mehr Einschränkungen und Geld abzuverlangen.
Nach einer im Februar veröffentlichten Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat, liegen die gesamtwirtschaftlichen Kosten, die aufgrund des sich wandelnden Klimas auf Deutschland zukommen, je nach Intensität der
Erderwärmung allein bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro. Aber das ist dann nicht mehr Problem der Ampel.
Nana Gerritzen ist Redakteurin im Ressort Politik & Gesellschaft.
Georg Lechner 17.04.2023, 17:41 Uhr:
Zu extrem sind die Maßnahmen der Reichen (Druck auf Politik und Medien), um wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verhindern und Stimmung dagegen zu machen.
Es bräuchte überhaupt einmal eine Analyse, wie weit die plutokratische Unterwanderung der Demokratie bereits vorangeschritten ist. In Österreich ist diesbezüglich Einiges durch die Chats von Thomas Schmid bekanntgeworden.
Martin Vogell 16.04.2023, 18:21 Uhr:
Ja und Nein, angesichts des fortschreitenden und sichtbaren Klimawandels braucht es drastische Maßnahmen, diese müssen aber sozial ausgewogen sein und von der Bevölkerungsmehrheit als sinnhaft wahrgenommen werden.
Die Politik windet sich seit Jahrzehnten zwischen Lobbyismen aller möglichen Richtungen und vergeudet dabei wertvolle Zeit.
Einfach umsetzbare Teillösungen wie Tempolimits werden blockiert, Bio-, Solar- und Windenergie scheitern an fehlenden bzw. bei aktueller Rechtslage unwirtschaftlichen Speichern oder fehlender Infrastruktur.
Statt "überschüssige" regenerative Energie als Wasserstoff oder Biomethan in der vorhandenen Gasinfrastruktur zu speichern, werden Windräder aus dem Wind gedreht und Solarstrom "verschenkt", weil Kabeltrassen fehlen, Dänemark z.B. kann es besser.
Der Umbau des Wärmesektors wird für viele Eigentümer nicht zu stemmen sein, zu einer verstärkten Konzentration des Immobilienvermögens und explodierenden Wohnkosten führen - ist das politisch gewollt?
Albrecht Steinhäuser 12.04.2023, 11:48 Uhr:
NAch meiner Einschätzung hat die "Letzte Generation" das Stadium des Protests längst verlassen und zur Nötigung übergegangen. Ihre Forderung, demokratisch gewählte Parlamente durch Bürgerräte zu ersetzen, stellt die Instutionen des demokratischen Rechtsstaates in Frage.
Dr. Loettel, Pfarrer i. R. KH 11.04.2023, 12:55 Uhr:
Leserbrief zu „ Sind die Forderungen der Klimabewegung zu extrem ? P.-F. 7/23
Absolut nein!, wir müssten ihnen aufs Äußerste dankbar und verbunden sein. Denn gerade auch die Klimakleber, wollen uns die Augen öffnen für die Gefahr, die den Bestand der Menschheit, und das gesamte Leben auf der Erde gefährdet. Sie kleben noch an der Mutter Erde, die ihnen Lebensraum bietet, während wir, die Regierung der Ampelkoalition und die Gesellschaft (!) so tun als wäre uns Mutter Erde nur „Dreck“ wert. Man könne ihr alle Rohstoffe, ungestraft entreißen und ihr den unbrauchbaren giftigen Müll wieder in den Rachen werfen. Pfui über uns, Hochachtung vor Klimaaktivisten, die uns im Bild des „Klebens an der Erde“ vermitteln, dass wir unsere Mutter vergewaltigen. Also was ist „zu extrem“, unsere Bösartigkeit oder die kindliche Zuneigung im Umgang mit der Schöpfung, der Klimaaktiven ? Hören wir auf sie und sind wir ihnen dankbar.
Gerhard Loettel, Pfarrer i. R., KH
Ströb Georg 06.04.2023, 15:14 Uhr:
Auf die Anklagebank gehören nicht die Klimaaktivisten solange sie friedlich sind.Angeklagt gehören diejenigen die es möglich machen dass für 30 Euro nach Mallorka geflogen wird,und Menschen die Bonusmeilen erfliegen.Darüberhinaus müsste im Bereich Mobilität das Verursacherprinzip eingeführt werden,bisher wird es mit Füßen getreten.Ein Beispiel; Wenn ich zu zweit für den Urlaub 1000 km fahre wird pro Person ca:75 kg Co² emitiert. Dafür wird berechtigter Weise Energiesteuer und MWST. fällig.
Wenn ich nach NEW York fliege sind das hin und zurück 10000 km ,d.h. pro Person werden ca.3000 kg emitiert,die Energiesteuer und die MWST. übernimmt der Steuerzahler,also der große Verschmutzer wird belohnt.
Stefan Brückmann 06.04.2023, 14:54 Uhr:
Nein.
Die Trägheit er Entscheidungsträger ist zu extrem.
Was soll denn noch alles passieren bis diese endlich handeln.
Der Klimawandel wird immer extremer und bedrohlicher, kostet uns Milliarden und tötet Menschen, aber Volker Wissing will weder ein Aus für Verbrenner noch ein Tempolimit. Stattdessen setzt er auf Autobahnausbau und ineffektive "E-fuels". Noch Schlimmer war nur Altmeier der in der Windkraft- und Solarindustrie mehr Arbeitsplätze vernichtete als es beim Kohlebergbau und den Kohlekraftwerk überhaupt in den Hochkonjunkturzeiten gab. Ich frage mich ehrlich, wo leben diese Leute eigentlich. Haben die keine Kinder, keinen Schöpfer vor dem sie sich hoffentlich mal verantworten müssen?
Thomas Bartsch-Hauschild 06.04.2023, 14:16 Uhr:
Nicht die Klimabewegung ist zu extrem- sondern seine menschen gemachten Folgen.
Dürre, Hitze,Hunger Wirbelstürme und Flucht