Pro und Contra: Kirchensteuer für Missbrauchsopfer?

Norbert Denef:
Ja, holt Gemeinden mit ins Boot!
Ich sage entschieden »Ja!« zur Finanzierung der Entschädigungen mit Mitteln der Kirchensteuer. Denn der Respekt vor den Betroffenen geht alle an. Auch die, die persönlich nicht zu Tätern wurden.
Es ist ganz einfach: Wer Kirchensteuer zahlt, unterstützt eine Institution, die Täter hervorgebracht hat. Aus diesem Zusammenhang kann sich niemand lösen. Die Missbrauchsopfer gehen die Gemeinden deshalb etwas an. Wer das nicht sehen will, macht Betroffene erneut zu Opfern.
Für die Übergriffigkeit der »Hirten«, ihr systemisches Schweigen und ihren Machtmissbrauch sollten natürlich zunächst sie selber zur Kasse gebeten werden. Entsprechend der kirchenrechtlichen Struktur in Deutschland sind die Bischöflichen Stühle in der Haftung. Auf diese Zusammenhänge hat der Theologe und Coach Thomas Hanstein in seinem Sachbuch »Von Hirten und Schafen« aufmerksam gemacht.
Steuerfinanzierte Bistumshaushalte sind beileibe nicht die einzigen Haushalte und Vermögensanlagen der Kirche. Kirchliches Vermögen kennt viele Rechtsträger: die Vermögensmassen der sogenannten Bischöflichen Stühle und der Domkapitel, dazu erhebliches kirchliches Vermögen in Anlageform, was der wirksamen Kontrolle durch die Kirchensteuer-Gremien entzogen ist.
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Alle Bistümer sollten endlich vollständige Transparenz im Blick auf kirchliche Vermögenswerte herstellen. Dann wird man sehen, dass sie sehr wohl zahlen können – und Kirchensteuern zur Entschädigung erst herangezogen werden müssen, wenn diese Mittel ausgeschöpft sind.
Bischöfe könnten im Übrigen mit gutem Beispiel vorangehen und auf die Hälfte ihres monatlichen Einkommens verzichten, ein Leben lang. Missbrauchsopfer haben schließlich auch lebenslänglich.
Claudia Lücking-Michel:
Nein, Laien sind nicht verantwortlich
Als Bischof Stefan Ackermann kürzlich über mögliche Entschädigungen für Missbrauchsopfer informierte, machte vor allem eine Zahl die Runde: Bis zu 300 000 Euro pro Opfer sollen möglich sein. Woher soll das Geld kommen? Ackermann hat die Kirchensteuer erwähnt und auf die Solidargemeinschaft der Gläubigen hingewiesen. Die Empörung darüber verstehe ich gut.
Ackermanns Appell an die Solidargemeinschaft geht ins Leere. Unsere Solidarität gilt den Opfern – nicht den Verantwortlichen. Es gibt weder eine Solidar- noch eine Haftungsgemeinschaft mit den Tätern. Zuerst müssen die Täter mit ihrem Privatvermögen herangezogen werden. Als Nächstes diejenigen, die an verantwortlicher Stelle vertuscht, Täter geschützt und so weitere Straftaten möglich gemacht haben. Kleriker sind uns Laien – nach dem Kirchenrecht und nach dem Selbstverständnis vieler – keine Rechenschaft schuldig. Sie sind Nutznießer eines Systems, das ihnen allein Vollmacht zuspricht. Sie stützen diesen Absolutismus, deshalb sollten sie die Konsequenzen tragen. Natürlich muss ich als Bürgerin für Verfehlungen staatlicher Akteure haften. Aber – das ist der Unterschied zur Kirche – ich habe Einfluss auf die Machthaber: Ich kann sie (ab-)wählen. In unserer Kirche sollen wir Laien jetzt für Straftaten von Klerikern verantwortlich gemacht werden, obwohl wir keine Handhabe besitzen, um Machtmissbrauch zu verhindern. Eine Abgabe aller amtierenden und emeritierten (Weih-)Bischöfe wird die Kosten nicht decken, aber es wäre ein Symbol. Dann ist weiteres Vermögen anzuschauen: Bischöflicher Stuhl, Immobilien, Land, Kunstschätze … Auch wenn dies einmal vom Kirchenvolk durch Steuern, Schenkungen oder Stiftungen aufgebracht wurde, profitieren jetzt die aktuellen Besitzer. Jedenfalls dürfen bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals nicht Unbeteiligte zur Kasse gebeten werden.
Norbert Denef, geboren 1949 in Delitzsch, ist das erste von der katholischen Kirche Deutschlands anerkannte Missbrauchsopfer. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, lebt in Scharbeutz.
Claudia Lücking-Michel, geboren 1961, Vizepräsidentin im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Abgeordnete im Bundestag für die CDU.
Kirchensteuer für Missbrauchsopfer?
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Aber so ist es nicht.
Wir sind keine Mitglieder, die freiwillig eine Vereinigung mit Kirchensteuern unterstützen. Diese Zwangsabgabe darf auf keinen Fall dazu benutzt werden, um Straftaten von Würdenträgern zu finanzieren bzw. deren Opfer zu entschädigen. Dann trete ich endgültig aus der Kirche aus, Gründe gibt es schon zuhauf. Nicht nur die Neuorganisation der Pfarreien, auch die zusätzlich erhobene Steuer für die Pfarrgemeinde sind Maßnahmen, die bereits den Austritt rechtfertigen. Jesus selbst wäre schon längst ausgetreten.