Pro und Contra
Braucht es die Weltklimakonferenz?

Christiane Averbeck: Ja!
Weltklimakonferenzen stehen seit Jahren in der Kritik: zu langsam, zu kompliziert, zu stark beeinflusst von Interessen der fossilen Lobby. Doch die Debatte verkennt oft eine zentrale Tatsache: Ohne internationale Klimakoordinierung stünde die Welt heute ungleich schlechter da. Trotz aller Verfehlungen hat die globale Klimapolitik enorme Fortschritte ermöglicht. Deutschland zum Beispiel hat seine Emissionen seit 1990 halbiert und zugleich ein Wirtschaftswachstum von 30 Prozent erreicht.
Anders als zu Beginn der 1990er-Jahre stehen heute technische, ökonomische und gesellschaftliche Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise bereit. Weltklimakonferenzen machen sie bekannt. Auch technologisch ist die Entwicklung eindeutig. 2025 werden Wind- und Solarenergie weltweit erstmals mehr Strom erzeugen als Kohle. Afrika erlebt einen Solarboom; in Deutschland sind Wärmepumpen erstmals die meistverkauften Heizsysteme. Mehr als 16 Millionen Menschen arbeiten heute im Bereich erneuerbare Energien.
Diese Dynamik wäre ohne den politischen Rahmen der Weltklimakonferenzen nicht denkbar, die mit ihren regelmäßigen Nachschärfungsrunden und globalen Fortschrittsberichten den Takt für Investitionen setzen. Solche Fortschritte sichtbar zu machen schafft Orientierung und Mut – gerade in einer Zeit, in der die Herausforderungen immer größer werden. Ja, fossile Lobbyisten versuchen, Prozesse zu blockieren. Doch gerade deshalb braucht es die COPs. Sie machen Machtkämpfe sichtbar und erzeugen Einigungsdruck.
Vor allem aber geben Weltklimakonferenzen jenen eine Stimme, die sonst keine hätten: kleinen Inselstaaten und anderen verletzlichen Ländern des Globalen Südens, die am stärksten unter der Klimakrise leiden und am wenigsten zu ihr beigetragen haben. Nur auf den Weltklimakonferenzen sitzen sie den großen Emittenten auf Augenhöhe gegenüber.
Auf der COP 28 wurde 2023 erstmals offiziell die Abkehr von fossilen Energien als globales Ziel verankert – ein Schritt, der ohne multilaterale Prozesse unmöglich gewesen wäre. Weltklimakonferenzen sind das einzige Forum, in dem die Staatengemeinschaft gemeinsam an einem Problem arbeitet, das alle betrifft. In einer Welt voller Krisen ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Wert an sich. Die Weltklimakonferenzen haben gezeigt, dass Multilateralismus wirkt: Statt auf eine 4-bis-5-Grad-Erwärmung zuzusteuern, befindet sich die Welt heute auf einem 2-bis-3-Grad-Kurs. Ein Erfolg. Auch wenn wir damit noch nicht zufrieden sein können.
Tadzio Müller: Nein!
Das Wichtigste zuerst: Klimagipfel schützen nicht das Klima. Ja, Sie haben richtig gelesen, Klimagipfel sind gar keine Klimagipfel im Sinne von »Klimaschutzgipfel«.
Das klingt unlogisch, doch wenn ich die Meilensteine der globalen Klimapolitik auf einer Grafik neben den Anstieg der globalen Treibhausgaskonzentration lege, dann stellt sich heraus, dass Erstere Letztere überhaupt nicht beeinflussen. Der einzige Faktor, der die Kurve konkret beeinflusst, ist das Wachstum oder die Schrumpfung der globalen Wirtschaft. Was sie nicht beeinflusst: wenn Staaten sich zusammensetzen und über Klimaschutz reden.
Aber wenn bei Klimagipfeln kein Klimaschutz stattfindet, warum finden sie weiter statt? Weil dort etwas anderes, etwas aus unserer Perspektive eigentlich viel Wichtigeres geschützt wird: unser Seelenfrieden. Klimakonferenzen verschaffen uns ein gutes Gewissen und lenken davon ab, dass sich die reichen Gesellschaften dieser Erde in Bezug auf die Klimakatastrophe wie amoralische Beutegemeinschaften verhalten, deren auf globaler Ausbeutung, Zerstörung und Gewalt basierender spätimperialer Lebensstandard nicht verhandelbar ist. Die Industriestaaten nehmen sich, was sie wollen, und bezahlen im schlimmsten Fall andere dafür, ihren Dreck wegzuräumen.
Konkret heißt das, dass sich zum Beispiel die Europäische Union in den vergangenen 15 Jahren eine neue fossile Energieinfrastruktur, vor allem für fossiles Flüssiggas, gebaut hat und dabei links und rechts Klimaziele kippt, die ohnehin nie mehr waren als gute Neujahrsvorsätze, und sich grundsätzlich vom Klimaschutz verabschiedet. Die Begründungen: zu teuer, zu schwierig und irgendwie emotional auch zu herausfordernd. Die reiche Welt hat fertig mit Klimaschutz, obwohl wir ihn noch nie wirklich probiert haben.
Dennoch leiden wir angesichts der Klimakatastrophe unter Zukunftsängsten, außerdem plagen uns Gefühle wie Schuld und Scham, weil wir persönlich und kollektiv beim Klimaschutz scheitern. Wir versprechen ihn seit Jahrzehnten, ohne wirklich etwas zu ändern, und langsam wird’s peinlich. Da hilft dann so ein Klimagipfel in irgendeinem weit entfernten Land, wo Dinge passieren, die wir nur vage verstehen. Aber schau mal, da sitzen doch ganz viele kluge und wohlmeinende Leute, deren Job es ist, das Klima zu schützen. Super, denken wir, dann wird das bestimmt auch gemacht.
Nein, liebe Leute: das wird es nicht. Aber das wollen wir nicht sehen. Deswegen finden wir diese Gipfel so toll: Sie sind keine Klima-, sie sind Verdrängungsgipfel. Das ist ihre Funktion, und deswegen wird es sie auch dann noch geben, wenn sie unter Wasser stattfinden müssen.
Christiane Averbeck ist Geschäftsführende Vorständin der Klima-Allianz Deutschland, dem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis für den Klimaschutz. Zuvor arbeitete die promovierte Biologin in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit.
Tadzio Müller ist Politikwissenschaftler und Publizist. Seit fast drei Jahrzehnten engagiert er sich für globale Gerechtigkeit, Klimaschutz und die Rechte queerer Menschen.




