Pro und Contra
Eine Deutsch-Quote in den Schulen?

Ahmad Mansour: Ja!
Die Migrationsquote ist nicht das Problem. Sie ist Teil der Lösung. Wer Integration will, wer gleiche Bildungschancen für alle Kinder will – der darf nicht länger zusehen, wie sich soziale Brennpunkte in Klassenzimmern manifestieren und Chancen systematisch ungleich verteilt werden.
Ein Schuldirektor sagte mir klar, was seine Schule bräuchte: »deutsche Muttersprachler!« An seiner Schule im Brennpunkt einer deutschen Großstadt sprechen rund 95 Prozent der Kinder zu Hause nicht die Landessprache: Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Polnisch, Russisch, Farsi, Paschtu, Albanisch und so fort. Zu Hause läuft das Fernsehen in der Sprache der Herkunft. »Die Kinder werden so gut wie nie von deutschsprachigen Kindern zu einer Geburtstagsfeier eingeladen, weil sie keine kennen«, sagte der Direktor. »Fast die einzigen Muttersprachler, mit denen die Kinder Deutsch sprechen, sind Lehrkräfte.«
Es gibt Hunderte solcher Schulen. Und es dürfte sie so nicht geben. Die Kinder leben wie in einem fremden Land. Wie soll Integration auf diese Weise klappen? Kinder mit Migrationshintergrund sind weder dümmer noch schwieriger. Doch sie starten häufig mit strukturellen Nachteilen ins Schulleben: Sprachdefizite, niedriger sozioökonomischer Status, bildungsferne Elternhäuser, oft geprägt von patriarchalen Werten und abgeschotteten Milieus. Viele von ihnen machen keinen Schulabschluss und verlieren den Anschluss – nicht, weil sie das wollen, sondern weil die Gesellschaft ihnen die Chance auf Begegnung, Vorbilder und Inspiration verweigert.
Eine migrationssensible Klassenzusammensetzung, eine durchdachte Quote schafft Raum für genau diese Begegnungen: Kinder aus unterschiedlichen Milieus, Religionen, Herkünften lernen miteinander und voneinander. Sie erleben Vielfalt als Alltag. Sie sehen, was möglich ist – und kombinieren das Erlebte zur neuen Orientierung. So entstehen Perspektiven, so gelingt Integration.
Wer heute lautstark gegen eine solche Quote protestiert, zementiert ungleiche Bildungsbiografien. In Schulen, in denen fast alle Kinder dieselben Benachteiligungen teilen, kann individuelle Förderung kaum greifen. Die Herausforderungen sind zu groß, die Ressourcen oft zu knapp, die soziale Isolation zu dicht. Vielfalt zu organisieren ist kein romantischer Traum, sondern eine logistische Notwendigkeit – und eine demokratische Pflicht. Die Migrationsquote ist so gesehen keine »Diskriminierung«, sondern ein Instrument gegen die Diskriminierung durch das System selbst.
Wirksamer Antirassismus beginnt dort, wo Kinder mit Migrationshintergrund nicht mehr unter sich bleiben müssen, sondern mittendrin sein dürfen.
Lamya Kaddor: Nein!
Migrationsquoten sind untauglich und diskriminierend. Solche Vorschläge tragen nur dazu bei, die Gesellschaft zu spalten; sie verhindern Zusammenhalt und belasten das Zugehörigkeitsgefühl großer gesellschaftlicher Gruppen. Deutschland ist ein Einwanderungsland – diese Realität ist immer noch nicht bei allen angekommen, und von einigen wird sie auch nicht hingenommen. Umso wichtiger wäre es, dieses auch im Koalitionsvertrag festgehaltene Selbstverständnis unseres Landes proaktiv zu gestalten und mit Leben zu füllen.
Zum einen schlummert in der Mitte unserer Gesellschaft ein Potenzial an Perspektiven, Erfahrungen, Kulturen und Sprachen, das uns gesellschaftlich und wirtschaftlich helfen könnte – wenn es echte Teilhabe gäbe und eine echte Willkommenskultur, nicht diese Ausgrenzungsrhetorik und dieses rassistische Denken in der Öffentlichkeit. Zum anderen werden wir herausgefordert von Zuwanderern mit falschen, mitunter bösen Absichten.
Pluralität zu gestalten und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren, ist eine fortwährende Aufgabe. Das »gemeinsame Wir« auszuhandeln und verbindende Identifikationen herzustellen, ist nicht leicht. Machen wir uns nichts vor.
Bundesbildungsministerin Karin Prien von der CDU hat vergangene Woche gesagt, sie könne sich vorstellen, angesichts divergierender Deutschkenntnisse in Schulklassen »Migrationsquoten« einzuführen. Nun ist ein mangelndes Sprachniveau ein bestehendes Problem vieler Kinder und Jugendlicher, die eingeschult werden. Doch erscheint es schlüssig, die Lösung der Frage am Merkmal der Migrationsgeschichte festzumachen? Nein.
Der Begriff Migrationsgeschichte beziehungsweise Migrationshintergrund wird vom Statistischen Bundesamt so definiert: Jemand selbst oder mindestens ein Elternteil ist nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren. Diese Gruppe ist mithin so vielschichtig, dass sie keinen Rückschluss auf das Sprachniveau geben kann. Ergo: Eine Migrationsquote kann kein Raster sein. Grundvoraussetzung für einen Bildungserfolg ist nicht die Herkunft. Wesentlich bedeutsamer für Bildungserfolg sind und bleiben sozioökonomische Aspekte: Wohnort, städtebauliche Entwicklung, Bildungsgrad der Eltern, frühkindliche Bildung und so weiter. Und hier wird seit Jahrzehnten zu wenig gemacht.
Wir müssen die Probleme in der Bildung endlich ganzheitlich angehen. Wir dürfen den Fokus nicht auf populistische Scheinlösungen verengen. Gerade als Einwanderungsland.
Ahmad Mansour ist Psychologe, Autor und Extremismusexperte.
Lamya Kaddor ist Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin für Bündnis 90/Die Grünen. Die Islamwissenschaftlerin unterrichtete an Schulen in Duisburg und Dinslaken.
