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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 7/2021
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft
Religion & Kirchen

Pro und Contra
Verzicht aufs Auto belohnen?

vom 13.04.2021
Alle reden von der Verkehrswende, doch die Realität sieht anders aus: Autos verstopfen Straßen und belasten die Luft der Städte mit Schadstoffen. Könnte eine Prämie für Menschen ohne eigenes Auto Anreiz für den Umstieg sein? Stimmen Sie hier ab.
Freie Straßen für freie Bürger, das ist eigentlich nur ohne Autos möglich. Doch wie motiviert man Autofahrer zum Umstieg? (Foto: PA/Daniel Kubirski)
Freie Straßen für freie Bürger, das ist eigentlich nur ohne Autos möglich. Doch wie motiviert man Autofahrer zum Umstieg? (Foto: PA/Daniel Kubirski)

Kerstin Stark:

Ja, Klimaschutz muss gewürdigt werden!

Es gibt dringenden Handlungsbedarf im Verkehrssektor. Trotz der Investitionen in umweltfreundliche Verkehrsmittel in den vergangenen 25 Jahren und angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise steigt der Kfz-Verkehr noch immer weiter an. Der Anteil der umweltfreundlichen Mobilität verharrt dagegen auf niedrigem Niveau. Was lässt sich dem zunehmenden Flächenverbrauch und dem Verkehrsirrsinn durch immer mehr Autos entgegensetzen?

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Viele politische Initiativen setzen vor allem auf Verbote und Verzicht, obwohl sie damit mangels Akzeptanz bislang kaum Erfolge erzielen. Eigentlich effektive Maßnahmen wie die Reduktion von Parkplätzen oder die Erhöhung von Parkgebühren sind umstritten und erzeugen Widerstand. Daher fassen viele Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen das Thema lieber gar nicht an.

Wenn die Verkehrswende gelingen soll, ist ein Strategiewechsel dringend erforderlich: Statt wirkungsloser Appelle an das gute Gewissen, statt Verbot und Verzicht muss umweltverträgliche Mobilität belohnt werden. Das ist das Konzept der Freie-Straßen-Prämie. Das Prinzip ist einfach: Wer das eigene Auto abschafft oder gar nicht erst eines kauft, erhält eine Prämie, beispielsweise 1100 Euro pro Jahr. Damit schlagen der Mobilitätswende-Verein Changing Cities und das ium-Institut für urbane Mobilität einen frischen Ansatz vor: Klimafreundliche Mobilität wird künftig belohnt und wertgeschätzt. Die Freie-Straßen-Prämie kommt ohne erhobenen Zeigefinger oder Verbote aus. Das Instrument bietet für alle einen Anreiz, das Auto abzuschaffen – auch für diejenigen, die sich nicht für Umwelt oder Klima interessieren. Für die Stadt und das Klima ist es nicht entscheidend, ob jemand aus Überzeugung oder wegen des Geldes auf ein Auto verzichtet, die Hauptsache ist, dass es endlich weniger Autos gibt.

Ulrike Scheffer:

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Nein, Belohnungen sind was für Kinder!

Die Verkehrswende funktioniert nicht. Das ist offensichtlich. In den Großstädten steigen zwar immer mehr aufs Rad, um zur Arbeit, zur Uni oder zum Einkaufen zu fahren, Autos dominieren aber weiter das Straßenbild – und verursachen Lärm, Dreck und schädliche Abgase. Das muss sich ändern. Eine Prämie für U-Bahn- und Radfahrende klingt da zunächst wie eine gute Idee. Das Richtige belohnen, statt das Falsche zu bestrafen, motivieren statt verbieten, Freude statt Konflikt. Dennoch wäre das der falsche Weg.

Autos haben viele Jahrzehnte lang unsere Städte und sogar die Stadtplanung geprägt. Die Autostadt war der Normalfall und wurde nicht infrage gestellt. Dabei darf es nicht bleiben. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel. Eine Verzichtsprämie würde dem jedoch entgegenlaufen, denn durch die Prämie wird der Verzicht aufs Auto zu etwas Besonderem erklärt, zur Abweichung von der weiter geltenden Norm, der Autostadt. Autofahrende haben aber kein natürliches Recht, große Teile des öffentlichen Raums in Anspruch zu nehmen. Und sie haben auch kein Recht, die Luft zu verschmutzen. Tun sie es trotzdem, sollten sie dafür einen Preis bezahlen. Einen, der das Autofahren möglichst unattraktiv macht. Das ist kein erhobener Zeigefinger, sondern Gerechtigkeit. Erwachsene Menschen müssen für ihr Tun Verantwortung übernehmen. Belohnungen dagegen sind etwas für Kinder.

Abgesehen davon: Glaubt wirklich jemand, dass auch nur eine Autofahrerin auf ihr Fahrzeug verzichten würde, weil eine Prämie von um die tausend Euro lockt? Umsteigen werden die meisten nur, wenn Autofahren spürbar teurer wird. Statt Geldgeschenke zu verteilen, sollten wir so viel wie möglich in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und in eine gute Radinfrastruktur investieren. Darüber freuen sich später dann auch die Umsteiger.

Die Umfrage ist vorbei: so haben unsere Leser abgestimmt!

Verzicht aufs Auto belohnen?

Alle reden von der Verkehrswende, doch die Realität sieht anders aus: Autos verstopfen Straßen und belasten die Luft der Städte mit Schadstoffen. Könnte eine Prämie für Menschen ohne eigenes Auto Anreiz für den Umstieg sein? Stimmen Sie hier ab.
63 x Ja, Klimaschutz muss gewürdigt werden!
28 x Nein, Belohnungen sind was für Kinder!
insgesamt abgegebene Stimmen: 91
69%
Schlagwort: Verkehrswende
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Mike 21.10.2021, 08:52 Uhr:
Hier in der Debatte geht es doch primär darum dass Menschen ohne Auto belohnt werden! Warum müssen sich Autofahrer gleich angegriffen fühlen?!
Es wird keinem was weggenommen sondern geschenkt.
Wenn der Autofahrer schon nicht sein Auto abgeben möchte dann soll er doch wenigstens diejenigen die kein Auto fahren etwas mehr gönnen.
„Gebe ich dir 100 € bist du glücklich…gebe ich dem anderen 150€, bist du unglücklich„

Steffi Billert 29.04.2021, 14:03 Uhr:
Ich finde es richtig, einen Anreiz für jede/n zu schaffen, der auf das Auto verzichtet und sich anders orientiert. Die Meinung von Frau Scheffer, das niemand sein Auto abschaffen würde, nur weil er 1100 Euro dafür bekommt, entspricht nicht der Realität. Zum Einen gibt es viele Menschen, die bewusst heute kein Auto mehr fahren, mein Sohn gehört dazu, und zum anderen gibt es Menschen, die ihr Zweitauto bewusst abschaffen und damit eine Kultur des Teilens üben. Das ist alles umweltfreundlich und sollte belohnt werden. Zudem könnten diejenigen, die vom Auto "aussteigen" sich mit der Prämie vielleicht eher ein teures Fahrrad kaufen. Oft fehlt das Geld dafür. Und wenn die Kampanie richtig gut beworben wird, so wie damals die Abwrackprämie, dann läuft sie bestimmt gut und wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Blech von den Straßen, auch von den zugeparkten Fußwegen!

Klaus Buggisch 26.04.2021, 22:08 Uhr:
Lustig: beides macht eigentlich das gleiche. Das eigentliche Problem ist die in exorbitante Subventionierung des Autoverkehrs - also Geld von der Allgemeinheit. Frau Stark fordert letztendlich diese Subventionen zurück in Form einer Verzichtsprämie. Frau Scheffer verlangt hingegen letztendlich, dass die Subventionen selbst beendet werden müssen.

Also der indirekte (Stark) oder direkte (Scheffer) Weg: Hauptsache, da passiert endlich etwas!

Reiner Neises 24.04.2021, 05:39 Uhr:
Es gibt doch heute schon in manchen Verkehrsverbünden das Angebot, dass Senioren eine Jahreskarte für die kostenlose Nutzung des ÖPNV bekommen, wenn sie den Führerschein abgeben. Das mag zwar nicht die Masse sein, aber es wird durchaus in Anspruch genommen.

Reiner Neises 23.04.2021, 18:00 Uhr:
Es gibt doch heute schon in manchen Verkehrsverbünden das Angebot, dass Senioren eine Jahreskarte für die kostenlose Nutzung des ÖPNV bekommen, wenn sie den Führerschein abgeben. Das mag zwar nicht die Masse sein, aber es wird durchaus in Anspruch genommen.

Martin Vogell 21.04.2021, 17:43 Uhr:
Wer auf unnötige Autofahrten verzichtet und wenn möglich läuft, das Rad oder den ÖPNV benutzt , spart Geld, lebt zumeist gesünder und belohnt sich doch eh schon selbst.

Bei der Diskussion um das Thema Verkehrswende wird leider häufig vergessen, dass das heutige Verkehrsdilemma Folge einer jahrzehntelangen verfehlten Raumordnung und Verkehrsplanung ist: die strikte räumliche Trennung von Wohn- (besser: Schlaf-)gebieten von Gewerbe-/Industrie in Verbindung mit einem vielerorts kaputtgesparten ÖPNV erzeugt zwangsweise Bedarf an individueller Mobilität. Dazu kommt noch die Forderung an die abhängig beschäftigte Arbeitnehmerschaft, doch bitteschön mobil zu sein und auch mal 50 oder 100 km täglich zu pendeln, egal, ob es einen ÖPNV gibt oder nicht (die Zumutbarkeitsregeln des § 140 SGB III sind da durchaus dehnbar). Bei allen Modellen zur Durchsetzung einer Verkehrswende darf man die Menschen nicht vergessen, die eben nicht so einfach aufs Rad oder den ÖPNV umsteigen können....

Wolfgang Heins 18.04.2021, 09:40 Uhr:
Bei dem Vorschlag von Frau Scheffer, nur Autofahren teurer zu machen, kommt der soziale Aspekt zu kurz. Das beste wäre, die beiden Alternativen zu verbinden. Geld von den Autofahrern auf die Autovermeider umzuverteilen. Das wäre so ähnlich wie das Ökobonus Konzept, welches zwar ökologisch und sozial ist, aber leider kaum Anwendung findet.

Georg Lechner 17.04.2021, 10:19 Uhr:
Objektiv hat Frau Scheffer recht. Wegen der starken Autolobby dürfte politisch eher der Vorschlag von Frau Stark durchsetzbar sein, wobei die Höhe der Belohnung durchaus noch höher angesetzt werden könnte, um mehr Wirkung zu zeitigen. Ein Nebeneffekt wäre dann auch ein gewisser sozialer Ausgleich (überhaupt nach dem Urteil aus Karlsruhe gegen den Berliner Mietendeckel).

Stefan Brückner 17.04.2021, 09:41 Uhr:
Die Idee ist neu für mich. Sehr interessant. Kann ich auf jeden Fall befürworten. Vielleicht wäre es noch zielführender, wenn die 1.100 Euro pro Jahr als Gutschein für die Nutzung von ÖPNV definiert werden. Ich selber hatte für eine Umkehrung dieser Idee plädiert, dass für jedes angemeldete KFZ eine Verpflichtung zum Kauf einer verbilligten Jahreskarteim im ÖPNV besteht. Die Belohnung oder der Win Win Effekt besteht darin, dass ich mein Auto bewusst stehen lassen kann und öffentlich fahren kann und dadurch Geld spare. Stefan Brückner, Ravensburg

Inge Lechner 14.04.2021, 13:33 Uhr:
Lebenslanges Lernen ist erforderlich und passiert - auch durch Bestrafen und Belohnen. Menschen sind vernunftbegabte Wesen, und wenn sie erfahren, dass eine Verhaltensweise für sie vorteilhaft ist, zeigen sie sie häufiger. Wenn diese Verhaltensweise dann noch für alle von Vorteil ist (das zu sehen, setzt eine sehr erwachsene Vorausschau voraus), dann ist es doch mehr als wünschenswert, wenn das entsprechende Verhalten individuell belohnt wird. Es geht um Umverteilung. Auch der bisher großzügig verteilten Privilegien.

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