Pro und Contra
Sanktionen gegen Syrien aufheben?
Karin Uckrow: Ja!
Amerikaner und Europäer verhängten die ersten Sanktionen gegen Syrien 2011 als Antwort auf Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes. Sie sollen die Regierung in Damaskus unter Druck setzen und ihre Geldströme austrocknen. Doch statt Syrien zu einem Kurswechsel zu veranlassen, haben die Sanktionen zu einer katastrophalen Wirtschaftslage geführt. Handel, Produktion, Landwirtschaft und Wiederaufbau werden auf drastische Art beschränkt. Darüber hinaus sind die Sanktionen Grund für steigende Preise. Auch meiden viele Akteure Geschäftsbeziehungen mit Syrien, weil der Aufwand zu hoch geworden ist und ein Risiko der Bestrafung bei einem Verstoß gegen die Sanktionen besteht. Alles Gründe, warum weiterhin eine große Anzahl von Menschen das Land verlässt. Es spricht sehr viel dafür, dass das eigentliche Ziel der Sanktionen, eine Politikänderung des syrischen Regimes zu erreichen, verfehlt wurde. Politische Eliten sind auch in Syrien in der Lage, sich den Auswirkungen der Sanktionen zu entziehen oder sogar von der durch sie geschaffenen Knappheit zu profitieren. Der Schaden trifft die breite Mehrheit der Bevölkerung. Zwar sind humanitäre Güter von den Sanktionen ausgenommen. Dennoch wird auch die Arbeit von Hilfsorganisationen durch die Sanktionen enorm erschwert: So können westliche Banken Geld nicht direkt nach Syrien überweisen. Die Alternativen sind kostspielig, sehr aufwendig und oft mit Risiken verbunden. Der Kauf von Ausrüstung, einer Telefonkarte, die Anmietung von Räumen, die Organisation von Transport oder einer Versicherung können ein Verstoß gegen die Sanktionen darstellen, wenn jemand direkt oder indirekt profitiert, der Verbindungen zur Regierung hat. Dies führt zu erheblichen Verzögerungen und hohen Kosten. Ein weiteres Problem sind die sogenannten Dual-Use-Güter. Dabei handelt es sich um Dinge, die für zivile, aber auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können. Dies betrifft etwa Chemikalien, die im medizinischen oder landwirtschaftlichen Bereich benötigt werden. Hilfsorganisationen wie auch Krankenhäuser müssen einen enormen Aufwand betreiben, um diese Güter für ihre Zwecke einführen zu können. Nicht selten scheitern Institutionen an diesen Hürden, und notwendige Waren und Güter werden nicht beschafft. Die umfangreichen Sanktionen haben weder zur gewünschten Absetzung des Assad-Regimes noch zu Änderungen der Politik der syrischen Regierung geführt. Auch aufgrund geostrategischer Interessen von Ländern wie Russland und Iran deutet nichts darauf hin, dass sich dies in der Zukunft ändern wird.
Bente Scheller: Nein!
Die EU-Sanktionen gegen Syrien aufzuheben hieße Menschenrechtsverbrechen zu unterstützen. Kein Zweifel, die Not in Syrien ist groß. Doch seit Beginn der syrischen Revolution für Würde und Freiheit haben die Schergen des Regimes stets gedroht: »Entweder Assad oder wir brennen das Land nieder.« Der Krieg gegen die eigene Bevölkerung hat (auch) die Wirtschaft ruiniert.
Schlimmer als die materiellen Verluste aber sind die Menschenrechtsverletzungen, die das Regime begeht. Ein international anerkannter Völkerrechtler attestiert dem Regime, dass es im »industriellen Ausmaß« morde. Zuvor hatte ein im Auftrag des Regimes arbeitender und dann übergelaufener Fotograf mehr als 55 000 Fotos veröffentlicht, die die Ermordung Tausender Menschen dokumentieren.
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Gegen diese systematischen Menschenrechtsverbrechen richten sich die Sanktionen der Europäischen Union. Gezielt werden diejenigen von Privilegien ausgeschlossen, die an Menschenrechtsverbrechen beteiligt sind oder davon profitieren. Die Sanktionen verwehren ihnen die Einreise in die EU und beschränken Geschäfte mit ihnen. Sie verbieten die Ausfuhr von Gütern, die zur Niederschlagung von Protesten oder zum Abhören und Ausspionieren der Bevölkerung verwendet werden können, ebenso wie den Export von Luxusgütern in das ausgehungerte Land. Humanitäre Güter – Nahrungsmittel, Medikamente oder medizinisches Gerät – sind klar von den Sanktionen ausgenommen. Man kann das nicht oft genug wiederholen, weil es immer wieder so dreist in Abrede gestellt wird. Wirkungslos sind die Sanktionen nicht – eben weil sie den Präsidenten und seine treuesten Gefolgsleute ins Visier nehmen. Die syrische Bevölkerung ist Assad egal, jegliche Einschränkung seiner Privilegien jedoch nicht. Deswegen nutzt Assad die raren Besuche ihm gewogener ausländischer Gäste, um ihnen seine PR-Statements mitzugeben. Unter deutschen Politikerinnen und Politikern sind dies vor allem das Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD, die – oft nach Reisen in Regimegebiete – wiedergeben, was ihnen in Damaskus aufgetragen wurde.
Wer menschenrechtsorientiert handeln und die Not in Syrien lindern will, täte gut daran, Sanktionen differenziert zu behandeln. Das hieße, die Lösung von Problemen voranzutreiben, die sich aus »übervorsichtiger« Handhabung der Sanktionen ergeben, zum Beispiel im Bankensektor, statt alle Sanktionen über einen Kamm zu scheren.
Wer sie schlichtweg aufheben möchte, würde eine mörderische Diktatur für ihre Lügen und Wagenknecht & Co. für deren Nachbeten belohnen.
Karin Uckrow leitet die Dialog- und Verbindungsstelle des katholischen Hilfswerks Misereor in Beirut.
Bente Scheller leitet das Referat Nahost und Nordafrika der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
Susanne Roether 26.09.2024, 14:02 Uhr:
Mich wundert überhaupt nicht, das Frau Scheller von der Heinrich Böll-Stiftung Syrien weiter sanktionieren will - obwohl alle wissen, dass damit meistens nur die Ärmsten in den betreffenden Ländern getroffen werden.
Die Heinrich-Böll-Stiftung trägt ihren Namen inzwischen ohne Legitimation, denn Heinrich Böll wäre der erste Kritiker ihres Kurses. Fragen Sie doch mal Frau Scheller, ob man Israel für die unbeirrte Verfolgung seines Eskalationskurses sanktionieren soll. Ein feuriges Nein wird sie Ihnen entgegenschleudern.
Jens-Martin Rode 24.09.2024, 14:36 Uhr:
Vielen Dank an Bente Scheller für die kurze und präzise Richtigstellung in Sachen Sanktionen gegen das Assad-Regime in Damaskus!
Was Karin Uckrow hier schreibt ist ja erschreckend faktenfrei. Die Sanktionen richten sich zum einen gezielt gegen eine ganze Reihe einzelner Personen aus dem Regime, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in Syrien stehen. Die Sanktionen aufzuheben bedeutet, dass die Schergen eines Regimes, das Mord und Folter in einem industriellen Maßstab begeht, an ihre Vermögenswerte kommen und ganz in Ruhe bei Harrods in London wieder ihre Kreditkarte durchziehen können. Wem in Syrien ist damit geholfen?
Die Sanktionen gegen ganze Branchen der Wirtschaft sind ein gutes sehr gezieltes Instrument, das man auch jeweils nachjustieren und einer aktuellen Situation anpassen kann. Warum genau sollte man darauf verzichten?