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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 4/2023
Der Inhalt:

Pro und Contra
Leihmutterschaft erlauben?

vom 21.02.2023
In einigen Ländern, so auch in Deutschland, ist kommerzielle Leihmutterschaft verboten.Doch es gibt Bestrebungen, sie zu liberalisieren. Auch Feministinnen sprechen sich dafür aus. Ist das der richtige Weg? Diskutieren Sie hier mit und stimmen Sie ab!
Bauchentscheidung: Soll die Leihmutterschaft erlaubt werden? (Foto: pa/photothek/Ute Grabowsky)
Bauchentscheidung: Soll die Leihmutterschaft erlaubt werden? (Foto: pa/photothek/Ute Grabowsky)

Antje Schrupp:

JA!Seit antiken Zeiten gilt die Regel »Mater semper certa est«, also »die Mutter ist immer sicher«. Das heißt: Wer ein Kind zur Welt bringt, ist dessen Mutter, und basta. Aber wieso eigentlich? Was spricht dagegen, legale und sozial akzeptierte Wege zu schaffen, wie die Verantwortung für ein Kind nach dessen Geburt auf andere Menschen übertragen werden kann?

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 04/2023 vom 24.02.2023, Seite 8
"Das brauche ich nicht"
John von Düffel über das Glück des Verzichts
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Ich sehe nichts Verwerfliches darin, wenn eine Frau ein Kind gebiert, damit ein schwules Paar Eltern werden kann. Oder eine andere Frau, der vielleicht der Uterus fehlt. Die menschliche Biologie ist nun einmal so beschaffen, dass nicht alle Menschen schwanger werden können.

Und ja: Warum soll dafür kein Geld fließen? Selbstverständlich ist die Kommerzialisierung von Reproduktionstechnologien ein Problem. Allerdings leben wir im Kapitalismus, und es gibt leider keinen Lebensbereich, der davon verschont bleibt. Ja, manche Frauen sind so arm, dass sie keine andere Möglichkeit sehen. Doch ein Verbot macht ihre prekäre Lage auch nicht besser. Die Rede von »altruistischer« Leihmutterschaft ist ohnehin Augenwischerei. Erstens werden auch in diesen Fällen Aufwandsentschädigungen gezahlt, und zweitens fragt man sich, warum alle anderen – Agenturen, Kliniken, Ärztinnen und Ärzte – an dem Geschäft verdienen dürfen, nur die Schwangeren nicht?

Die Behauptung, bei Leihmutterschaft würden »Kinder verkauft«, ist sowieso Polemik. Kinder kann man nicht besitzen und daher auch nicht verkaufen. Elternschaft bedeutet, für ein Kind verantwortlich zu sein und es ins Erwachsensein zu begleiten. Egal, ob man es selbst geboren hat oder nicht.

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Richtig ist, dass auf dem Reproduktionsmarkt Ausbeutung stattfindet. Um die zu unterbinden, brauchen wir aber etwas anderes als moralische Empörung und Verbote. Zum Beispiel eine Pflicht zur Transparenz: Ebenso wie Kinder ein Recht haben, zu wissen, wer ihre genetischen Eltern sind, sollten sie auch ein Recht haben, zu wissen, wer ihre Geburtsmutter ist. Außerdem müssen Verträge, die Schwangeren medizinische Untersuchungen aufnötigen oder eine bestimmte Lebensweise vorschreiben, verboten werden. Vor allem aber dürfen Leihmutterschaftsvereinbarungen erst mit einer gewissen Frist nach der Geburt rechtskräftig werden, zum Beispiel nach acht Wochen wie beim aktuellen Adoptionsrecht. Jede Gebärende sollte die Möglichkeit haben, sich nach der Geburt noch umzuentscheiden und selbst die Mutterrolle zu übernehmen.

Pauschale Abwehrkämpfe gegen Leihmutterschaft singen meist ein völlig unangebrachtes Loblied auf patriarchale und vermeintlich »natürliche« althergebrachte Familienformen. Stattdessen kommt es darauf an, die Rahmenbedingungen bei übertragener Elternschaft so zu gestalten, dass Würde und Selbstbestimmung der Schwangeren gewahrt bleiben. Auf diese Aufgabe sollten wir uns konzentrieren.

Angelika Walser:

NEIN!Nun zeichnet sich ab, dass sie demnächst reguliert und damit auch moralisch legitimiert wird: die kommerzialisierte Leihmutterschaft. Feministinnen wie die indische Sozialwissenschaftlerin Amrita Pande, die mit ihren Studien Leihmüttern eine Stimme verliehen hat, setzen sich dafür ein. Sie argumentieren, dass »Body Care Work«, wie sie Leihmütter in von Armut betroffenen Ländern seit Jahrzehnten leisten, endlich unter menschenwürdigen Rahmenbedingungen stattfinden und angemessen bezahlt werden sollte. Wer könnte ernsthaft etwas dagegen haben?

Seien wir ehrlich: Leihmutterschaft als Dienstleistung funktioniert, weil es Länder gibt, in denen Frauen keine andere Chance auf eine Verbesserung ihrer materiellen Situation sehen, als Kinder für andere Menschen auszutragen. Das sind fast immer heterosexuelle Paare, die nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen, mittels Befruchtung im Reagenzglas ein Kind zu bekommen, keine andere Möglichkeit mehr sehen, als eine Leihmutter zu engagieren. Auch immer mehr schwule Paare mit Kinderwunsch greifen auf Leihmütter zurück. Die von Pande befragten Leihmütter sagen deutlich, dass das Austragen von Babys ihnen als der einzige Weg erscheint, der eigenen Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Hätten sie alternative Optionen, würden die wenigsten von ihnen den Weg der Leihmutterschaft wählen. Allein schon deshalb ist die Rede von der angeblich selbstbestimmten Entscheidung dieser Frauen falsch. Sie sind schlichtweg Spielerinnen in einem Spiel, dessen Regeln sie nicht mitbestimmt haben und das sie auch weiterhin nicht wirklich mitbestimmen werden. Sie fällen ihre Entscheidung nämlich in einem globalen sozialen Kontext, der zutiefst von der ungleichen Verteilung von Ressourcen geprägt ist. Dieser Kontext ist geprägt von der neoliberalen Logik des globalen Markts, der möglichst viele und billige Einzelteile des Frauenkörpers benötigt, um den gewünschten Nachwuchs zu produzieren: Eizellen und eben auch Gebärmütter in jedem Sinn. Die Kulturtheoretikerin Angela McRobbie analysiert das »postfeministische Zeitalter der Top Girls«, in dem jede Frau ihre eigene erfolgreiche Unternehmerin ist. Dazu gehört, sich ein Kind zu erarbeiten beziehungsweise sich diese Arbeit bezahlen zu lassen. Dazu gehört die Logik der Verträge, die den Beteiligten das gute Gefühl gibt, Rechte und Pflichten aller Beteiligten geregelt und damit alles unter Kontrolle gebracht zu haben. Dazu gehört last but not least die beliebte Rhetorik eines angeblichen Gewinns an Selbstbestimmung für alle beteiligten Erwachsenen. Die Liberalisierung verschleiert die Tatsache, dass sich am Grundsatzproblem mangelnder Geschlechtergerechtigkeit und sozialer Ungerechtigkeit durch regulierte Leihmutterschaft rein gar nichts ändern wird, im Gegenteil! Der Biomarkt braucht Nachschub und der wird von Frauen geliefert. Früher sprach man von Neokolonialismus. Das war ehrlicher.

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Leihmutterschaft erlauben?

In einigen Ländern, so auch in Deutschland, ist kommerzielle Leihmutterschaft verboten.Doch es gibt Bestrebungen, sie zu liberalisieren. Auch Feministinnen sprechen sich dafür aus. Ist das der richtige Weg? Diskutieren Sie hier mit und stimmen Sie ab!
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Lotte Stegers 29.06.2023, 14:17 Uhr:
Meine Empfindung ist, dass bei dem Thema sehr schnell die Moralkeule rausgeholt wird, die gegen Leihmutterschaft wettert. Manche Argumente verstehe ich, da müssen Lösungen gefunden werden. Es ist ein neuer Weg - ja. Wäre mir meine Geschichte nicht passiert, hätte ich wahrscheinlich auch mit dem "nein" mitgewettert. Jetzt empfinde ich aber, dass auf keine Seite eine schnelle Antwort gut ist. Und das es vom Prinzip her eine Lösung für viele Frauen sein kann.
Nach Geburt meines Kindes (Notkaiserschnitt), traten massive Blutungen bei mir ein. Als dann die Ärzte das bemerkten (ich kam nach der Narkose nicht mehr zu Bewusstsein), kam ich wieder in den OP. Die Ärzte kämpften um mein Leben, der Kampf konnte nur gewonnen werden, indem mir die Gebärmutter entfernt werden musste. Danach künstliches Koma und Intensivstation. Mein Kind habe ich erst 3 Tage später kennengelernt. Wir haben viel getan, um die verloren gegangenen Bindungsmomente aufzuarbeiten.
Wir wünschen uns sehr ein 2.-4. Kind.

Gunhild Buse 24.03.2023:
Niemand spricht die Möglichkeit einer altruistischen, also »selbstlosen Leihmutterschaft« an, wie sie beispielsweise in den Niederlanden, in Dänemark und Griechenland erlaubt ist. Damit ist gemeint, dass die Leihmutter für das Austragen des Kindes kein Geld bekommt, sondern das Kind austrägt, weil sie den Wunscheltern helfen möchte. Diese Möglichkeit eröffnet Frauen, die zum Beispiel wegen einer Krebserkrankung ihre Gebärmutter verloren haben, ein genetisch eigenes Kind zu bekommen. Eine Freundin oder eine Schwester würde in diesem Fall das Kind austragen. Ich sehe keinen ethischen Grund, warum diese Möglichkeit nicht auch in Deutschland erlaubt werden sollte.

Willi Pütz 24.03.2023:
Ich vermisse bei beiden Artikeln zum Für und Wider einer Leihmutterschaft die Interessen aus der Sicht des Kindes, das da gezeugt und geboren werden soll. Im Mutterleib entsteht die erste soziale Bindung des Kindes. Die Gebär-Mutter ist und bleibt ein Leben lang zumindest im Unterbewusstsein die wichtigste Bezugsperson. Eine Trennung bedeutet daher für das Kind ein Trauma und wird insbesondere die Bindungsfähigkeit und das Vertrauen in künftige Beziehungen beeinträchtigen. Nach meiner Überzeugung darf keinem Kind eine solche gewaltsame Trennung nach einer Leihmutterschaft vorsätzlich angetan werden.

Gisela Herterich 05.03.2023, 10:28 Uhr:
Kinder zu haben, ist ein Geschenk und eine große Aufgabe, die damit beginnt, auch die Situation des Kindes sehen: 1. Es ist unstrittig, dass das ungeborene Kind den Körper der Mutter, ihre Stimme und die Geräusche in ihrer Umgebung wahrnimmt. Das ist seine Mutter und sein Nest. Die ganze Schwangerschaft. DNA oder Chromosomen spielen keine Rolle in dieser Kind-Mutter-Beziehung.

Darum hat es absolut Vorrang, den Mutter-Kind-Kontakt direkt nach der Geburt in den Armen der Mutter über Haut, Brustkorb mit Herzschlag, und den Stimmen der Eltern sofort wieder her zu stellen. Der Begriff dafür ist »Bonding«.Einzige Ausnahme: sofort nötige medizinische Therapie.

2. Wissenschaftlich eindeutig belegt ist: Der Tod der Mutter bei der Geburt ist einer der größten Risikofaktoren für psychosoziale Entwicklung und Bindungsverhalten des Kindes. Die Leihmutterschaft ist für das Kind der Tod der Mutter. Es verliert mit der Geburt alles, was ihm vertraut war und kommt in eine fremde Welt.

Susanne Zedelius 01.03.2023, 19:15 Uhr:
Sind Frauen wandelnde »Brutkästen«?
Ich finde es schlimm, wenn die materielle Not von Frauen ausgenutzt wird, indem ihr Körper für das Austragen von Kindern »gemietet« wird.

Kinder sind doch keine Ware, die man für Geld kaufen kann! Wer wirklich Kinder liebt, kann auch ein Pflegekind aufnehmen, es gibt leider viele Kinder die keine liebevollen Eltern haben, die sie adäquat erziehen können.

Gustav Haab 01.03.2023, 08:17 Uhr:
Wir greifen mittlerweile in die ursprünglichsten Gebiete der Gentechnik ein: wir wollen Gott spielen! Die Fortsetzung dieses Gedankens ist die Leihmutterschaft! Anstatt Grenzen zu respektieren, dass es unter bestimmten Umständen nicht möglich ist Nachkommen zu zeugen, wird alles versucht -von der Spermienspende bis zur Invitrovertilisation- manipulativ tätig zu sein.
Homo sapiens als universeller Erschaffer! Dass diese Geschöpfe später fragen, woher komme ich und warum: Das konglomerate Ergebnis eines ärztlichen und erzeugungstechnischen Kunstprojekts?
Als ob wir nicht genügend Waisenkinder oder sonstige hilfsbedürftige junge Menschen hätten, die gerne einen elterlich Wegbegleiter hätten? Bedarf es deshalb diesen finanz – und medizintechnischen Aufwands? Nein! Wir sollten nicht alles dürfen, was wir könnten!

Helene Tschacher 28.02.2023, 19:45 Uhr:
Leih-Mütter unterziehen sich nicht einer künstlichen Befruchtung, weil sie schwanger sein als beglückend empfingen. Sie verleihen – prostituieren – sich gegen Geld damit sich ein Paar den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen kann.
Ist nur zu hoffen, dass das Kind das richtige Geschlecht hat, nicht behindert geboren wird und der Leihmutter zurückgegeben wird, weil es einen vorgeburtlichen Schaden hat, den sie zu verantworten hat. Berichten sie doch im publik forum über Leihmutterschaft in osteuropäischen Ländern und lassen sie danach darüber diskutieren. Ob eine Legalisierung die Ware Kind mehr schützt stelle ich in Frage.
Herr Schönemann stimme ich zu: wer denkt an das Kind.

Martin Schönemann 25.02.2023, 22:18 Uhr:
Beide Streitpartnerinnen vergessen einen Aspekt, der meines Erachtens Leihmutterschaft unmoralisch macht: des Recht des Kindes.
Wärend einer Schwangerschaft entwickelt sich eine enge Beziehung zwischen Mutter und Kind. Diese nach der Geburt abzubrechen, indem das Kind an andere fortgegeben wird, bedeutet eine tiefe schmerzliche Erfahrung für beide, die nur in Ausnahmefällen akzeptabel ist (wenn ohne das Fortgeben ein größeres Übel für Mutter oder Kind einträte).
Antje Strupp beachtet diesen Aspekt immerhin in Bezug auf die Mutter - und will ihr daher die Möglichkeit einräumen, das Kind doch zu behalten. Dasselbe Recht muss auch das Kind haben - nur kann es dieses Recht noch nicht selbst einfordern.
Im Grunde ist eine humane Leihmutterschaft nur denkbar, wenn die Mutter auch nach der Geburt im engen Freundes- oder Familienkreis des Kindes bleibt und so die Beziehung mit dem Kind weiterbestehen kann. Dann wäre denkbar, dass es daneben andere Eltern gibt, bei denen das Kind aufwächst.

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