Kritik an grünen Fake News
Soll die Vision einer ökosozialen Gesellschaft wirksam werden, muss sie einen Marsch durch Märkte, Institutionen und Politiken durchstehen. Der grüne, bio-orientierte Lebensstil wird durch den kapitalistischen Wolf gedreht: Unternehmen erfinden und testen, was profitabel zu vermarkten ist. Und Öko-Bio verspricht mehr Rendite als andere Konsumformate.
Mehr Rendite lockt Unternehmen an, die sich durch Greenwashing ein grünes Mäntelchen verschaffen. Und »ausgerechnet Greenwashing hält jedweder Aufklärung stand«, so die Erkenntnis der investigativen Journalistin Kathrin Hartmann. Sie sagt: »Je offensichtlicher und durchschaubarer grüne Lügen sind, je schädlicher das Produkt und die dafür verwendeten Rohstoffe und je absurder das daran angeknüpfte Ökoversprechen ist, desto eher wird es geglaubt. Und zwar ausgerechnet von jener Zielgruppe, die als besonders gebildet gilt.« Sie denke gern, alles könne so weitergehen wie bisher, wenn man nur grüner konsumiere.
Hartmann entfaltet diese Gedanken in ihrem neuen Buch »Die grüne Lüge«. Geschrieben hat sie es parallel zur Realisierung des Films »The Green Lie«, den sie mit dem Dokumentarfilmer Werner Boote drehte. Der Streifen wurde auf der Berlinale für den Dokumentarfilmpreis nominiert; Kinostart war am 9. März.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Hartmanns Buch beginnt mit Hollywoodstar George Clooney, der mit seinem Gutmenschen-Image für den Kapselkaffee von Nespresso wirbt. »Allein die Alu-Kapseln von Nespresso ergeben jedes Jahr einen mindestens 8000 Tonnen schweren Müllberg«, so die Autorin. Um die Kapseln herzustellen, deren Material aus Bauxit gewonnen werde, zerstöre man in erheblichem Maße Umwelt und Lebensgrundlagen indigener Menschen, besonders im Amazonasgebiet.
Damit das Treiben des Nestlé-Konzerns beim Kaffeetrinken nicht auf den Magen schlägt, wird um die sozialen und ökologischen Strategien der Firma ein Buhei gemacht, das in keinem Verhältnis zu seiner Zerstörungskraft steht. Was Hartmann zu Recht »grüne Fake News« nennt. Analog gilt das für BP, das »die größte Ölpest aller Zeiten im Meer versteckte«, für das Ozeanplastik der Modeindustrie, die Waldvernichtung für Palmöl, die von NGOs mit Umweltschutz bemäntelt wird, für staatliches Greenwashing, bei dem die Politik Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen eher schützt als stoppt, und für die Agrarindustrie, die »den Indigenen in Brasilien Land und Leben raubt«. Auch kleine Start-ups betreiben Greenwashing. Sie verstecken Probleme oft in gut gemeintem Sozialunternehmertum.
Hartmann diagnostiziert einen »Irrglauben an den ethischen Konsum«. Vielmehr sei der Kapitalismus als Ganzes zu bekämpfen, der die grünen Lügen hervorbringe. Sie wirbt für kollektiven Widerstand – und unterschätzt doch die subversive Transformation des Kapitalismus durch grünes, ökosoziales Produzieren und Konsumieren.