Editorial
Über Zeitdruck und Klima-Veränderung, eine Gesellschaft im Krieg und den Sinn von Bekenntnissen

ich hasse es, zu spät zu einem Interviewtermin zu kommen. Und doch kann es passieren, trotz großzügiger Zeitplanung. Der Zug nach Berlin trödelte vor sich hin, der Anschluss nach Potsdam klappte nicht, der Busfahrer hieß mich eine Station zu früh auszusteigen, die empfohlene Abkürzung durch den Wald endete vor einem Zaun. Und innerhalb des weitläufigen Campus am Telegrafenberg, der zweifellos zu den schönsten Europas zählt, schickte mich der eine dahin und der andere dorthin. Die Sonne brannte vom Himmel und die Uhr tickte gnadenlos. Nass geschwitzt fanden der Fotograf Benjamin Pritzkuleit und ich das Büro des Klimaökonomen Ottmar Edenhofer. Im Rückblick keine schlechten Rahmenbedingungen für ein Gespräch über Klimapolitik. Was tun, wenn es immer heißer wird? Wenn die Zeit knapp wird? Wenn man sich über den Weg unsicher ist? Wenn die Ohnmachtsgefühle wachsen? Das Gespräch (ab Seite 12) endet verhalten optimistisch: Man müsse sich die Hoffnung bewahren, denn ohne Möglichkeitssinn kein Realitätssinn.
Doch was passiert, wenn eine Gesellschaft verstummt, weil das Hoffen auf Veränderung zu oft enttäuscht wurde, weil das ständige Nachdenken zu anstrengend ist oder weil die tägliche Propaganda, ausgezeichnet gemacht, eine Welt präsentiert, in der alles so schön einfach ist? Inna Hartwich nimmt Sie mit in den russischen Alltag, zeigt auf, vor welchen Problemen die Menschen in einer hoch militarisierten und zugleich müden und phlegmatischen Gesellschaft stehen (Seite 20).
Vor 1700 Jahren wurde im heutigen Iznik Religionsgeschichte geschrieben. In philosophischer Sprache wurde ein christliches Glaubensbekenntnis formuliert, das bis heute noch Gültigkeit hat, aber immer wieder zu Konflikten geführt hat. Anlass für meinen Kollegen Paul Kreiner über das christologische Bekenntnis nachzudenken. Seinen interreligiös geweiteten Essay über Sinn und Unsinn, Chancen und Grenzen von Bekenntnissen finden Sie auf Seite 32.Herzlich begrüßen wir Daniela Ordowski, die unsere Redaktion verstärken wird, zunächst als Praktikantin, ab Herbst dann als Volontärin.
Trotz all der schlimmen Nachrichten von Kriegen, Attentaten und Amokläufen, die derzeit auf uns einprasseln: Bewahren wir die Hoffnung, dass eine bessere Welt möglich ist.
Michael Schrom Leiter des Ressorts »Religion und Kirchen«.
Foto: Ute Victor
