Buchtipp: »Der Hase im Mond« von Milena Michiko Flašar
Wenn der Kalligraf Mülltonnen plündert

Kurzgeschichten. Schicksalsschläge können das Leben plötzlich verändern: Eine schwere Krankheit oder der Tod einer geliebten Person. Und dann ist nichts mehr wie zuvor. Die österreichisch-japanische Schriftstellerin Milena Michiko Flašar erzählt in ihrem neuen Kurzgeschichtenband »Der Hase im Mond« von neun derartigen Momenten im Leben eigentlich ganz normaler Menschen. Auf den ersten Blick wirken die Schicksalsschläge erst mal wenig dramatisch – und dafür umso skurriler. In der titelgebenden Erzählung ertappt zum Beispiel ein Mann den von ihm verehrten Kalligrafiemeister beim Plündern von Mülltonnen voller Essensreste. Der Kalligraf, der Inbegriff japanischer Zurückhaltung, erweist sich überraschend als wilde Bestie. Diese Beobachtung lässt den Mann nicht mehr los. Am Ende wird er an ihr fast verrückt und sogar zum Verbrecher. Auf ähnliche Weise spielt Flašar mit den Erwartungen ihres westlichen Publikums. Die Hauptfiguren tragen Kimonos und essen typisch japanische Speisen wie die inzwischen auch hierzulande bekannten Klebreiskuchen »Mochi«. Wer sich etwas mehr mit Japan befasst hat, kann in den Geschichten viele Anspielungen auf die gesellschaftlichen Probleme des Landes entdecken. Allerdings verbergen sich hinter den vielen Klischees und den manchmal fast ethnologisch anmutenden Schilderungen Wünsche, die Menschen auf der ganzen Welt plagen: Flašars Figuren sehnen sich nach Anerkennung, nach Erfüllung und nicht zuletzt nach Liebe. Die Erzählungen in »Der Hase im Mond« durchbrechen nicht nur Lebensroutinen, sondern beim Leser auch eingefahrene Vorstellungen vom anderen.
Milena Michiko Flašar: Der Hase im Mond. ?Wagenbach. 240 Seiten. 24 €




