»Als hätte die Bombe die Eingeweide der Erde zerrissen«

Weiterlesen mit Ihrem Digital-Zugang:

Weiterlesen mit Ihrem Digital-Upgrade:
- Ergänzend zu Ihrem Print-Abonnement
- Mehr als 34.000 Artikel auf publik-forum.de frei lesen und vorlesen lassen
- Die aktuellen Ausgaben von Publik-Forum als App und E-Paper erhalten
- 4 Wochen kostenlos testen

Jetzt direkt weiterlesen:
- diesen und alle über 34.000 Artikel auf publik-forum.de
- die aktuellen Ausgaben von Publik-Forum als App und E-Paper
- 4 Wochen für nur 1,00 €

Frau Matsubara, Sie haben den Abwurf der Atombombe über Hiroshima überlebt. Was verbinden Sie mit dem Datum des 6. August 1945?
Als die Atombombe auf Hiroshima fiel, war ich gerade einmal zwölf Jahre alt und Schülerin der siebten Klasse am Gymnasium. Die Bombe explodierte eineinhalb Kilometer entfernt von mir. Und von den 250 Kindern an unserer Schule gehörte ich zu den 52, die überlebt haben.
Was für ein Tag war der 6. August 1945? Und wie spielte sich damals der Alltag in Hiroshima ab?
Während des Krieges gab es keine Ferien für die Schüler. Kinder, die älter als 14 Jahre alt waren, wurden von der Regierung zu einer Art Arbeitsdienst eingezogen und mussten neue Waffen zusammenschrauben oder Uniformen nähen oder Essen für die Soldate
Miyoko Matsubara ist eine ›Hibakusha‹, eine Zeugin des Atomwaffeneinsatzes in Hiroshima. Sie war von dem Tag, der ihr Leben prägen sollte, gezeichnet, ihr Körper nach mehr als 30 Operationen vernarbt und müde. Doch sie folgte ihrem Auftrag, immer wieder eindringlich über das Erlebte zu berichten.Als wir zusammensaßen, liefen uns beiden während des Gespräches die Tränen über das Gesicht. Miyoko erzählte wie in Trance, während ihre Hände wie von allein einen Friedenskranich für mich falteten, »den wohl Zehntausendsten«, wie sie mir beim Abschied sagte. Miyoko Matsubara lebt nicht mehr, sie starb am 10. Februar 2018 im hohen Alter von 85 Jahren – 73 Jahre nach dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima. Soll man solche Worte deshalb im Archiv verstauben lassen? Nein! Die Zeugenschaft bleibt lebendig.
Es sollte eins der bewegendsten und berührendsten Interviews werden, die ich im Lauf meines journalistischen Lebens geführt habe. Ich begegnete Miyoko Matsubara, dieser kleinen, schmächtigen, etwas gebeugten Frau, vor zehn Jahren, als sie im Alter von über 70 Jahren mit ihrer stillen, unbeugsamen Kraft zum x-ten Mal um die Welt flog, um die junge Generation zu warnen: zu warnen vor der Hölle, in die sie geblickt hatte, zu erinnern an das unermessliche Leid, zu dessen Zeugin sie geworden war, zu berichten über den nuklearen Holocaust, der unter dem Begriff der »atomaren Abschreckung« fast schon normal klingt.
