Dürfen Streiks ein Land lahmlegen?

Stephan Hebel: Ja, das Streikrecht gilt, auch wenn es wehtut
Zugegeben: Die Lokführer-Gewerkschaft GDL hat das Ende der Geduld bei vielen Streikbetroffenen provoziert. Wenn streikende Arbeitnehmer urlaubenden Arbeitnehmern die Erholung verderben, ist Verständnis kaum zu erwarten. Die Antwort lautet dennoch: Ja, Streiks dürfen das Land sogar »lahmlegen«, auch wenn diese Formulierung übertrieben erscheint. Ein lahmgelegtes Land sieht anders aus.
Niemand sollte das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht infrage stellen, weil ihm der Anlass nicht passt. Grundrechte dann zu verteidigen, wenn es nicht wehtut, ist einfach. Erst wenn ihre Wahrnehmung etwas kostet, erweist sich ihr Wert. Deshalb ist es besser, einen unverhältnismäßigen Streik zu ertragen, als nach Einschränkungen des Streikrechts zu rufen, die dann später künftig jeden Arbeitnehmer treffen können.
Wenn Stahlarbeiter streiken, merken die meisten Menschen zunächst nichts. In der Dienstleistungsbranche betreffen Streiks automatisch viele Bürgerinnen und Bürger. Soll man die Beschäftigten dafür bestrafen?
Richtig ist: Die GDL kämpft auch darum, bei der Bahn stärkste Arbeitnehmervertretung zu sein. Aber warum? Weil die große Koalition ein Gesetz angedroht hat, das in einem Betrieb nur der mitgliederstärksten Gewerkschaft das Recht auf Tarifverhandlungen zugesteht. Das ist nicht nur ein Angriff auf das Streikrecht kleinerer Gewerkschaften. Es ist die falsche Reparaturmaßnahme für einen Schaden, den die DGB-Gewerkschaften zu verantworten haben: Sie haben den unterschiedlichen Interessen der Berufsgruppen nicht ausreichend Rechnung getragen.
Ja, diese Streiks können eine

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drei Punkten Ihrer Ausführungen möchte ich widersprechen.
1. Sie behaupten dass die Zugbegleiter bald unverhältnismäßig weniger verdienen werden als die Lokführer. Der Streik geht jedoch gerade darum, dass die GDL auch für die Zugbegleiter verhandeln will und diese dann an der Durchsetzungskraft der Lokführer teilhaben.
2. Sie unterstellen Verkäuferinnen hätten eine begrenzte Streikmacht. Wenn Verkäuferinnen den Organisationsgrad der Lokführer hätten und Arbeitgeber fürchten müssten, dass die Geschäfte geschlossen bleiben, dann hätten sie durchaus eine vergleichbare Streikmacht.
3. Sie schreiben Cockpit will eine großzügige Frühverrentung durchsetzen. Nach meiner Kenntnis geht es darum diese Frühverrentung zu erhalten.
Die GDL will für die bei ihr organisierten Zugbegleiter verhandeln. Das ist legal und legitim. Die Bahn verweigert das kategorisch. Daher der Streik.
Statt also der Mehrheitsgewerkschaft den Vorzug zu geben, wäre es vielleicht gerechter, unter bestimmten Umständen eine Schlichtung vorzusehen.
Solidarischer wäre es, wenn sich diese Gewerkschaften zu einer Deutschen Verkehrs-Gewerkschaft zusammenschließen würden. Aber dies passt den Gewerkschaftsfunktionären so gar nicht in den Kram, denn es geht bekanntlich auch dort um Pöstchen und hohe Funktionärsbezüge.
Und dies alles auf dem Rücken der Bahnkundinnen und Bahnkunden!