Du, Virus
Zum Schutz vor Ansteckung
verordnest du mir nachdrücklich
einen kleinen Nasen-Mund-Schutz;
Uta nähte ihn in Liebe und Bunt.
Eine größere Maske,
die bisher niemand sah,
hast du mir zeitgleich brutal zerfetzt –
fühle mich plötzlich enttarnt.
Ja, ungeschützt erkenne ich
meinen üblichen sozialen Alltag – armselig,
inmitten des allgemeinen Reichtums.
Fühle plötzlich sowohl mein
Abgeschoben- wie Abgeschirmtsein,
Verwaistsein, ohne tragende Beziehung –
diagnostiziere: sozial mangelernährt.
Überlebenstraining im Widerstand
gewohnter Verlassenheit rettete mich – viele Jahre,
schenkte mir beständig meine eigene Welt,
ließ mich üben in Zufriedenheit und
Sehnsüchte einzudämmen.
Du, Virus, treibst mich
also in keine Isolation.
Du, Virus, kannst mir Entbehrungen
nicht wirklich abverlangen.
Du, Virus, kannst auch nicht
meine Autonomie mir nehmen.
Das eingeschränkte soziale Leben,
derzeit öffentlich diskutiert und oft erlitten,
beraubst viele Menschen deren bunter,
selbstverständlicher, sozialer Normalität,
in erhebenden Varianten und Intimität.
Dieses unnormale Leben ist mir vertraut.
Ich lebe es – auch ohne dich, Virus – seit Jahren
auf Du und Du und danke heute,
überlebt zu haben.
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