Filmtipp
Als illegale Abtreibungen Tabu und doch Alltag waren

Kino. Sie habe »eine Krankheit, die nur Frauen bekommen«, sagt Anne. Genauer vermag sie ihre Not nicht zu beschreiben. Die Studentin ist die erste ihrer Familie, die an die Uni geht. Sie will Lehrerin werden und ist der Stolz ihrer Mutter, die sich in einer Kneipe abrackert. Das namenlose »Ereignis«, das Anne selbst besten Freundinnen nur andeutet, ist eine ungewollte Schwangerschaft. Wir schreiben das Jahr 1963: Mädchen dürfen flirten, müssen aber Jungfrau bleiben, um nicht als Schlampen zu gelten. Sollte »etwas« passieren, ist das eine Katastrophe, die alle Träume zunichte macht. Heimlich und zunehmend verzweifelt sucht Anne einen Ausweg und riskiert Gefängnis und Tod.
Tabu und Heuchelei
Die Verfilmung eines autobiografischen Romans von Annie Ernaux bleibt stets auf Augenhöhe der jungen Frau und macht Begehren, Einsamkeit, psychische und physische Schmerzen fast körperlich spürbar. In nüchterner Inszenierung wird an eine schlechte alte Zeit erinnert, deren Heuchelei man sich kaum mehr vorstellen kann, in der eine illegale Abtreibung ein unaussprechliches Tabu und doch Alltag war. Aufgrund seiner gnadenlosen Ehrlichkeit ist der Film für Kinder nicht geeignet. Er zeigt das Ausgeliefertsein an repressive Gesetze, ärztliche Willkür und Engelmacherinnen sowie das blutige Ende von Annes Odyssee.Werbeverbot für Abtreibungen
Ein sehenswerter Film, schon weil Bewegung in die Diskussion gekommen ist, seit das Kabinett einen Gesetzesentwurf verabschiedet hat, der §219a, das »Werbeverbot« für Abtreibungen, aufheben soll.Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber auch in diesen Zeiten Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie Publik-Forum vier Wochen kostenlos testen. Vielen Dank.