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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 5/2022
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft

Musik
»Nie wieder Krieg«

von Thomas Winkler vom 11.03.2022
Der Titel des neuen Albums von Tocotronic ist erschreckend aktuell. Es war nur ein Spiel mit Schlagworten, analysiert allerdings eine gesellschaftliche Bubble zwischen Hedonismus und Engagement.
Die deutsche Rockband Tocotronic gründete sich 1993 in Hamburg. (Foto: pa/Pedersen)
Die deutsche Rockband Tocotronic gründete sich 1993 in Hamburg. (Foto: pa/Pedersen)

Rock. Der Duden definiert eine Institution als »gesellschaftliche, staatliche, kirchliche Einrichtung, die dem Wohl oder Nutzen des Einzelnen oder der Allgemeinheit dient«. Falls das auch für kulturelle Einrichtungen gelten kann, dann sind Tocotronic mittlerweile sicherlich eine Institution. Denn die Band um Sänger und Texter Dirk von Lowtzow hat auf ihrem neuen, 13. Album das Wohl des Einzelnen und der Allgemeinheit fest im Blick.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 05/2022 vom 11.03.2022, Seite 54
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Zwar ist der Albumtitel »Nie wieder Krieg« eher ein – wie von Tocotronic gewohnt – hintergründiges Spiel mit Schlagworten, aber längst schon kreist die 1993 in Hamburg gegründete Indie-Rockband nicht mehr nur um den eigenen Bauchnabel. Stattdessen verknüpft von Lowtzow in seinen Texten – die zwischen wundervoller Poesie und leisem Klamauk schillern – die Befindlichkeiten seiner irgendwie noch linken, zwischen Hedonismus und Engagement schwankenden Blase geschickt mit einem Blick aufs größere Ganze. Denn während die Gitarren immer noch vorsichtig rebellieren, wird mit »Ich hasse es hier« die alte Punk-Attitüde wiederbelebt. Allerdings abgeklärt, denn die Wut richtet sich nicht mehr allein gegen das System, sondern appelliert auch an die Eigenverantwortung: »Ich hasse es hier / Und mich dafür«, singt von Lowtzow ein wenig zu emotionslos und gerade deshalb so anrührend: wie jemand, der gerade feststellt, dass nicht immer nur allein der böse Kapitalismus schuld ist und er es sich vielleicht zu einfach gemacht hat.

Musikalisches und inhaltliches Gegenstück sind eingängige Popsongs wie »Ich gehe unter«, der sich lesen lässt als irritierend gut gelauntes Klagelied eines von der immer schneller laufenden Zeit mit ihrer digitalen Taktung überforderten Menschen: »Wir sind noch nicht vorbei, das ist ein Hilfeschrei.« Die majestätische Ballade »Ich tauche auf«, ein Duett mit Anja Plaschg alias Soap and Skin, wiederum handelt von Depressionen – oder eben von diesem Land, dem eine bei aller Gefühligkeit auch immer analytische Institution wie Tocotronic nur gut tun kann.

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