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Mitmach-Aktion
Kann man das heute noch lesen?

vom 11.05.2023
Viele geliebte Kinderbuchklassiker enthalten diskriminierende Klischees und rassistische Sprache. Wie sollte man heute damit umgehen? Schreiben Sie uns, was Sie denken!
Wie rassistisch sind die Bücher von Astrid Lindgren? (Foto: pa/Franz-Peter Tschauner)
Wie rassistisch sind die Bücher von Astrid Lindgren? (Foto: pa/Franz-Peter Tschauner)

Die Bücher, die wir als Kinder lesen, prägen uns fürs Leben. Wir wollten so unabhängig und mutig sein wie Pipi Langstrumpf, so heldenhaft wie Winnetou, so klug wie Matilda, so abenteuerlustig wie die »Fünf Freunde«. Mit Literatur erleben
Kinder Abenteuer, lernen Empathie und ordnen die Welt. Doch viele ältere Kinderbücher enthalten diskriminierende Stereotypen und rassistische Sprache. Ob man Kinderbuchklassiker verändern sollte, darüber wird emotional gestritten. In der Ausgabe Nr. 9/2023 von Publik-Forum kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Meinungen zu Wort:

Unsere Volontärin Lou Steinig findet, man solle diskriminierende Stellen mit Anmerkungen versehen, um aufzuklären. Publik-Forum-Redakteurin Nana Gerritzen redigiert rassistische Stellen, wenn sie ihrer Tochter vorliest und hat das N-Wort mit TippEx aus dem Buch gestrichen. Der Theologieprofessor und Winnetou-Fan Albrecht Grözinger weiß, dass sich Karl May die Apachen damals nur ausgedacht hat und diese Klischees Indigene beleidigen, aber behält Winnetou als Symbol für Weltoffenheit in Erinnerung. Unser Redakteur Constantin Wißmann ist dagegen, Bücher nachträglich zu ändern, er findet Unzeitgemäßes reizvoll, auch für Kinder. Und Mithu Sanyal, selbst Schriftstellerin, verteidigt ihre Lieblingsautorin Enid Blyton – durchaus nicht unkritisch. Sie sagt: Autoren können beides sein: rassistisch und brillant.

Welche Bücher haben Sie als Kinder geliebt? Würden Sie diese heute noch Ihren Kindern oder Enkeln vorlesen?

Hier, im Feld »Kommentare und Leserbriefe« können Sie uns Ihre Erinnerungen, Erfahrungen und Gedanken schreiben. Ihr Beitrag erscheint dann in Kürze auf dieser Seite. Und möglicherweise gekürzt in einer der nächsten Ausgaben von Publik-Forum.

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Regina Klapper 19.05.2023, 15:29 Uhr:
Zu aller erst – wie ich meine – müssten betroffene Menschen dazu befragt werden, denn wir weißen Privilegierten dürften da im Allg. nicht mitreden können. Wir können den Schmerz und das Gefühl des Ausgegrenztseins nicht bzw. nur bedingt nachempfinden. Ich bin privilegiert, meine Tochter nicht! Aber ich habe viel mit ihr gelitten!
Wer macht sich darüber Gedanken, warum gerade Frau Gerritzen die Bücher redigiert?
Und ich muss sagen, dass ich oft nicht viel halte vom heutigen Geschichtsunterricht und deutscher Bildung im Allgemeinen.
Jetzt wird endlich über die Situation Schwarzer Menschen und Rassismus, über Kolonialismus und seinen Auswirkungen in Deutschland geredet! Es muss ein Prozess in Gang kommen, in dem wir lernen, anders auf unsere Geschichte und die Welt zu schauen! Das erfordert einschneidende Veränderungen in Bildung, Politik und Kultur!
Ich meine deshalb, dass diskriminierende Wörter und Darstellungen in Kinderbüchern nichts zu suchen haben.

Paul Walter 18.05.2023, 10:40 Uhr:
Wörter können diskriminieren, beleidigen, verletzen. Unterschieden werden muss, ob ich solche Wörter jemanden an den Kopf werfe oder ob sie in einem literarischen Werk der Vergangenheit stehen. Dumm ist, wer ahistorisch solche Texte liest, verurteilt oder gar korrigieren möchte. Wer behauptet, dass Wilhelm Busch „für seine gewaltaffinen, rassistischen und antisemitischen Tendenzen bekannt“ sei, mag jung und unwissend sein oder schlicht blöde: Verkannt wird der Unterschied zwischen Figurenrede und Meinungsäußerung, verkannt wird die Unbedarftheit des Sprachgebrauchs in vor-nationalsozialistischer Zeit, verkannt wird Buschs Freundschaft mit Paul Lindau und Hermann Levi, verkannt wird, dass für Busch in seinen Werken der Antisemit genauso eine Spottfigur ist wie der katholisch überfromme Jesuit. Ich liebe seit meiner Jugend "Max und Moritz", "Plisch und Plum", "Fromme Helene" und bin alles andere als gewaltaffin, rassistisch oder antisemitisch, was jeder, der mich kennt, bezeugen kann.

Georg Lechner 15.05.2023, 19:19 Uhr:
Ich neige am meisten der Variante "erklärende Fußnote" zu, mit der man Änderungen oder bewusst nicht durchgeführte Änderungen anspricht und erläutert.
Neben diskriminierenden Begriffen ist auch oft ein veraltetes Rollenverständnis zu beklagen. Ich habe meinen Kindern daher das Märchen vom Rumpelstilzchen in der Version von Christine Nöstlinger erzählt.

Ingo Loy 15.05.2023, 18:11 Uhr:
Danke für diesen Beitrag! Er hat mein Meinungsbild sehr erweitert und mich als Opa zum Nachdenken gebracht. Darüber was und wie ich meinen Enkelkindern vorlesen möchte, denn das gehört für mich ohne Zweifel zum Opa-sein dazu. Alle Beiträge hatten ihre guten Argumente, aber am meisten halte ich mit Constantin Wißmann und seinen Ansichten. Ich halte im Übrigen die meisten Vorlesenden für fähig genug den Kindern geeignete Bücher in geeigneter Form vorzulesen. Kinder die selber lesen, können wir nicht vor allem schützen, aber der Frage was ein "N.könig" ist, oder welche Art von Schwerverbrecher sich hinter dem Räuber Hotzenplotz verbirgt, stellen sich Erziehende, denen es wichtig ist dass Kinder Bücher und Geschichten lesen, gerne. Nicht alles muss reglementiert , hinterfragt und gebügelt werden. Meinen vollen Zuspruch deshalb für C. Wißmanns Ansicht mehr Erzieher in Kitas und weniger in Verlagen.

Günther Hoffmann 14.05.2023, 16:33 Uhr:
Das Hauptproblem ist doch: Wer maßt sich an, Wörter als diskriminierend oder als "kaputt" (Matthias Heine) abzuqualifizieren? Bloß die Gefühle eines Menschen, der sich heute betroffen fühlt?

Das Wort Neger hat - anders als Nigger - in seiner über 300-jährigen Geschichte nicht durchgehend abwertende Bedeutung. Es gibt also keinen zwingenden Grund, das Wort nicht zu verwenden, es sei denn, man fühlt sich woke oder einer political correctness oder sonst einem mainstream verpflichtet.

Von daher besteht erst recht keine Notwendigkeit, in Bücher vergangener Zeiten mit einem Rotstift von heute reinzukorrigieren. Und Kindern würde ich diese Literatur auch vorlesen oder zum Lesen geben, soll doch ihr Horizont größer werden als der unserer Cancel Culture.

Dagmar Rau 14.05.2023, 15:37 Uhr:
Danke für den Beitrag von C. Wißmann. Die alten lieben Kinderbücher! Ich bin Jahrgang 1960 und hatte aus den wenigen Schätzen, die meine Mutter aus ihrer Kindheit gerettet hatte, besonders das "Zwieselchen" von Werner Bergengruen ins Herz geschlossen. Auch dort wird von einem weißen Mittelschichtkind erzählt, aber so, dass es durch eingebettete Erzählungen seiner Großmutter und seines Onkels die weite Welt kennenlernt einschließlich z.B. fröhlicher Zigeuner. Ich habe es damals einfach nur geliebt.
"...weil sie [die Klassiker der Kinderliteratur] sich was trauen", ist das beste Argument dafür, keine Änderungen vorzunehmen. Vom Respekt vor den Autoren ganz zu schweigen.
Als unsere Kinder klein waren, war die Grausamkeit der Grimmschen Märchen ein großer Aufreger und es gab weichgespülte Fassungen davon. Das ist aber meines Wissens längst vorbei, und niemend hat Schaden genommen ;-)
Daraus schließe ich, dass auch die gegenwärtige Hysterie irgendwann wieder vorbei geht.

H. Wachsmann 14.05.2023, 12:37 Uhr:
Natürlich würde ich das weiter vorlesen! Dabei kann man gleich, wenn es sich ergibt, das Thema aufgreifen.
Ich schließe mich den meisten der vorher genannten Argumente, und besonders denen von H. Jopp, an.
Und ich plädiere für mehr Souveränität, Gelassenheit und weniger Hysterie.
Außerdem würde uns mehr Respekt gegenüber früheren Zeitgenossen und ihrer damaligen Lebensrealität gut anstehen.




r.ketter 14.05.2023, 08:15 Uhr:
Moj Mojn,
wie habe ich damals über den Südseekönig und so viel anderes gelacht. Schon als Kind war das alles für mich klar erkennbare Fiktion. Gleiches gilt für Karl Meys Orient- und Wildwestgeschichten. Ohne Karl Mey, "Mark Twain" und James F. Cooper hätte ich mich nicht für Nordamerika interessiert (und so später mehr "Realität" erfahren. Auch haben wir als Kinder lebhaft darüber diskutiert, ob "die Araber", "die Indianer", "die Freitags" wirklich so seltsam sind. Ohne die Begriffe zu kennen, haben wir u.a. über Stereotype und Rassismus gesprochen. Dabei habe ich oft mehr gelernt, als in Familie und Schule.
Im Alltag plädiere ich für mehr Gesprächs- als Verurteilungskultur.
Das "Entschärfen" von Literatur aller Zeiten lehne ich ab. Welchen "Wert" hätten eigentlich geglättete Thoren, Korane, Bibeln, etc. ? Welche Verfremdung ist die "Richtigere".
Also Originale vorlesen, manchmal erläutern und damit leben, daß jede Zeit ihre (Mehrheits)Meinungen, Moden und Macken hat.

Jürgen Winkler 13.05.2023, 05:56 Uhr:
Damals gehörten Begriffe, wie das "N-Wort" zum allgemeinen Sprachgebrauch. Dokumente, Bücher etc. aus dieser Zeit gehören damit ebenso zur Geschichte, wie die Sklaverei. Geschichte entwickelt sich mit jeder Generation weiter. Aus heutiger Sicht rassistische und diskriminierende Begriffe in Büchern etc. muss man deshalb immer im Kontext ihrer Zeit sehen. Aus meiner Sicht kämen nachträgliche "Bereinigungen" von solchen Inhalten einer Geschichtsfälschung gleich. Neuauflagen könnten aber mit einem erklärenden Vorwort versehen werden. Damit wäre die notwendige kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte gegeben.

Wolfgang Goede 12.05.2023, 19:58 Uhr:
Meine Mutter war Vertriebene aus Westpreußen, seit 1945 Polen. Sie fand wenig gute Worte über selbiges. Wenn sie in Gegenwart unserer Tochter darüber sprechen wollte, stoppte ich sie. Unsere Tochter bedauert das heute, mit leichtem Vorwurf an mich. Familien-Historie wurde unterdrückt. Smarter wäre gewesen: Meine Mutter sprechen zu lassen, mit anschließender Kommentierung von mir. Ich betrieb, was wir heute Cancel Culture nennen. Wir brauchen beide Seiten.

Anna Stamer 12.05.2023, 19:08 Uhr:
Ich kann mich dem von Steffi Wilke Geschriebenen nur anschließen. Ich finde sogar, dass man es sich zu einfach macht, wenn man meint, durch eliminieren von Worten würde man das Problem lösen. Wichtig ist doch, dass man mit den Kindern darüber spricht, warum man heute gewisse Worte nicht mehr benutzen sollte.

Steffi Wilke 12.05.2023, 13:09 Uhr:
Ich war immer eine Leseratte und habe viele meiner Kinderbücher auch an meine Töchter weitergegeben: Ich liebte Karl May, doch ich wusste früh, dass der Autor sich Dinge angelesen und ausgedacht hat. Aber mein Interesse war geweckt- Liselotte Welskopf-Henrichs "Die Söhne der großen Bärin" war deutlich sauberer in der historischen Darstellung. Nur: Ohne Karl May hätte ich sie nie gelesen. Bei Erich Kästner darf man sich auch nicht ansehen, wie Frauen zu großen Teilen dargestellt werden, selbstverständlich opfert die Mutter des "Doppelten Lottchens" ihre berufliche Karriere, um erneut zu heiraten - das ist eben das Frauenbild der Zeit. Literarische Werke sind zeitabhängig und Hamlets Othello ist ein "Mohr"- das zensieren wir doch auch nicht weg. Man muss zwischen Literatur und Sprachgebrauch unterscheiden. Eine Erläuterung für alte (rassistische) Worte ist in Ordnung, wegzensieren nicht. Der Versuch, Worte durch Zensur verschwinden zu lassen, hilft Kindern nicht bei passendem Reden.

H. Jopp 12.05.2023, 12:52 Uhr:
Die kritisierten Bücher sind Produkte ihrer Zeit und als solche in meinen Augen geschützt, Textkorrekturen sind übergriffig. Kritik an Haltungen der Autoren kann in einem Vorwort am Anfang des Werks thematisiert werden, aus heutiger Sicht unerwünschte Begriffe können dort thematisiert oder per * am Seitenende kommentiert werden.

Karl Fordemann 12.05.2023, 11:36 Uhr:
Kann man das heute noch lesen? - Ich meine, wir müssen es lesen und bitte auch vorlesen und darüber reden. Geschichte und Haltungen kann man nicht ausradieren, TippEx löst keine Probleme. Bewusstsein entsteht gerade aus solchen Zeitepochen und kann dazu dienen aufzuzeigen was sich wie und warum geändert hat. Ich will gerne mit meiner Enkeltochter darüber reden was zum Beispiel das Wort "Neger" meint wenn es im Text erscheint und welche Gedanken dazu geführt haben, es heute anders zu benennen, anders sehen. Literatur und die zu ihrer Zeit genutzte Sprache entsteht in der Zeit in der sie geschrieben wird und sollte nicht verfälscht werden. Anmerkungen im Vor- oder Nachwort bei einer Neuauflage finde ich sinnvoller und ehrlicher als den Radiergummi. Außerdem gibt es sicher ja auch ein (c) von Schriftsteller:innen; begehe ich andernfalls nicht sogar Urkundenfälschung?



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