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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 14/2023
Der Inhalt:
Religion & Kirchen

Kino
Eine Anklage gegen das Patriarchat

von Antje Schrupp vom 25.07.2023
Das Recht auf Abtreibung wird weltweit eingeschränkt. Kritik daran findet auch auf der Leinwand statt. Eine Reihe preisgekrönter Filme widmet sich dem Thema. Unsere Autorin hat sie sich angeschaut.
Wem kann Anne sich anvertrauen? Wer hört ihr zu? Im Film »Das Ereignis« erzählt Audrey Diwan von der ungewollten Schwangerschaft und der anschließenden Abtreibung der jungen Literaturstudentin in den 1960er-Jahren in Frankreich. (Foto: via filmstarts.de)
Wem kann Anne sich anvertrauen? Wer hört ihr zu? Im Film »Das Ereignis« erzählt Audrey Diwan von der ungewollten Schwangerschaft und der anschließenden Abtreibung der jungen Literaturstudentin in den 1960er-Jahren in Frankreich. (Foto: via filmstarts.de)

Das Thema Abtreibung schien seit den 1970er-Jahren im Großen und Ganzen erledigt: Die »Zweite Welle« der Frauenbewegung hatte in den USA und den meisten europäischen Ländern prinzipiell den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungsmöglichkeiten erkämpft, der Rest schien Detailarbeit.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 14/2023 vom 21.07.2023, Seite 52
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Doch seit einigen Jahren arbeiten rechte Netzwerke gezielt daran, den Zugang zu Abtreibungen zu unterhöhlen. In Deutschland geschah dies über Paragraf 219a StGB, das sogenannte »Werbeverbot« für Abtreibungen, nach dem rechte Aktivisten massenhaft Strafanzeigen gegen Ärzte und Ärztinnen stellten. Die Ampelregierung hat den Paragrafen inzwischen gestrichen, doch in anderen Ländern war die Bewegung erfolgreich: In Polen gilt mittlerweile ein derart striktes Abtreibungsverbot, dass sich Ärzte mitunter weigern, Schwangeren bereits abgestorbene Föten aus dem Uterus zu entfernen – mehrere Frauen sind deshalb gestorben. Und in den USA hat der Supreme Court das »Roe vs. Wade«-Urteil gekippt, das den Zugang zu Abtreibungen rechtlich garantiert hatte.

Die 17-Jährige tut, was nötig ist

Diese Auseinandersetzungen spiegeln sich auch im Kino wider. Allein in den vergangenen drei Jahren erschien eine ganze Reihe preisgekrönter Filme zum Thema Abtreibung, oder besser: zum Thema Abtreibungsverbote. Denn im Mittelpunkt stehen nicht mehr Gewissenskonflikte über die Legitimität eines Abbruchs oder allgemein schwierige soziale Verhältnisse. Die neuen Filme sind vielmehr eine Anklage gegen patriarchale Denkmuster, die Schwangeren das Menschenrecht auf körperliche Selbstbestimmung absprechen. Die Protagonistinnen der Filme verschaffen sich und anderen Zugang zu medizinischer Hilfe, es sind Heldinnen im Kampf für Gerechtigkeit und Menschenwürde.

Die 17-jährige Autum findet in New York Unterstützung und medizinische Versorgung. In ihrer Heimatstadt im ländlichen Pensylvania war sie falsch informiert worden. Der Film "Niemals Selten Manchmal Immer" von Eliza Hittmann erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher. (Foto: via filmstarts.de)

So wie die zwei Jugendlichen in dem 2020 erschienenen Drama »Niemals Selten Manchmal Immer« der New Yorker Regisseurin Eliza Hittman: Nach einer ungeplanten Schwangerschaft, für deren Abbruch sie im ländlichen Pennsylvania keine Hilfe und Unterstützung bekommt, reist die 17-jährige Autumn, unterstützt von ihrer Cousine, nach New York. Mit diesem Ortswechsel verbindet der Film die zwei heute ideologisch mehr denn je gespaltenen Teile der USA: Während Autumn in ihrer Heimatstadt falsch informiert und mit Anti-Abtreibungspropaganda überschüttet wird, findet sie in New York – bei allen Problemen, die sie überwinden muss – ein professionelles Unterstützungsnetz und die notwendige medizinische Versorgung.

Der Film ist aus vielen Gründen empfehlenswert; für die Jury der Evangelischen Filmarbeit war es der Film des Jahres 2020. Hittman zeigt ihre Protagonistin als selbstbestimmte junge Frau, die trotz der restriktiven Umgebung um die Möglichkeit einer Abtreibung weiß – schließlich gibt es das Internet. Sie geht rational ihre Möglichkeiten durch und tut das, was möglich und nötig ist. Autumns Beispiel, so könnte man sagen, zeigt anderen jungen Frauen, »wie es geht«, welche Möglichkeiten es also gibt, trotz aller Hindernisse, an eine Abtreibung zu kommen. Inzwischen wird der Film in den demokratischen US-Bundesstaaten im Schulunterricht eingesetzt, und auch in Deutschland empfiehlt das Onlineportal kinofenster.de den Film als Unterrichtsmaterial ab der neunten Klasse.

Der Film "Das Ereignis" basiert auf dem gleichnamigenRoman von Annie Ernaux, in dem sie ihren eigenen Schwangerschaftsabbruch verarbeitet hat.  (Foto: via filmstarts.de)

In Frankreich, dem Mutterland der Idee universeller Menschenrechte, lief 2021 »Das Ereignis« im Kino, ein Film von Audrey Diwan, der die ungewollte Schwangerschaft und anschließende Abtreibung der jungen Literaturstudentin Anne in den 1960er-Jahren behandelt. Jenseits der Kinoleinwand hat der rechtskonservative Angriff auf das Abtreibungsrecht im Land inzwischen sogar zu einer politischen Initiative geführt: Das »Recht auf einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch« könnte dort bald in der Verfassung verankert werden. Die Nationalversammlung hat dem Vorhaben bereits zugestimmt, der Senat dies im Oktober 2022 allerdings abgelehnt.

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Der Arzt belügt die Schwangere

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, die darin ihren eigenen Schwangerschaftsabbruch verarbeitet hat. Regisseurin Diwan legt Wert darauf, die Situation ihrer Protagonistin nicht als moralisches Dilemma darzustellen, sondern deutlich zu machen, wie Annes Menschenrechte systematisch mit Füßen getreten werden. Zum Beispiel vom Arzt, der ihr verspricht, eine frühe Fehlgeburt einzuleiten, aber in Wahrheit ein Mittel verabreicht, das die Einnistung des Embryos festigt: Wer sich moralisch überlegen glaubt, fühlt sich als Herrscher über die Körper anderer.

In »Das Ereignis« steht vor allem die Gleichgültigkeit des sozialen Umfelds im Fokus: Annes Freundinnen plappern gedankenlos den Mainstream nach, ihr Freund will hauptsächlich in Ruhe gelassen werden. Angeklagt werden also jene, die ungewollt Schwangere mit ihrem Kampf um Würde und Selbstbestimmung alleinlassen. Tatsächlich hat Annie Ernaux rückblickend die Verschwiegenheit selbst, die Unmöglichkeit, über ihre Erfahrung zu sprechen und das Geschehene zu verarbeiten, als Hauptproblem beschrieben. Denn dass Menschenrechtsverletzungen überhaupt möglich sind, liegt auch daran, dass alle, die selbst nicht betroffen sind, gerne wegschauen.

Amina ist mit der ungewollten Schwangerschaft ihrer 15-jährigen Tochter konfrontiert. Der Film "Lingui" aus dem Tschad erzählt vom solidarischen Handeln verschiedener Frauen. Regisseur ist Mahamat-Saleh Haroun. (Foto: via filmstarts.de)

Nicht nur in Europa ist der Kampf für den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungsmethoden Thema. Das zeigt der ebenfalls 2021 ins Kino gekommene Film »Lingui« aus dem Tschad in Zentralafrika. Regisseur Mahamat-Saleh Haroun erzählt die Geschichte von Amina, einer alleinerziehenden Mutter, die mit der unerwünschten Schwangerschaft ihrer 15-jährigen Tochter Maria konfrontiert ist. Maria will auf keinen Fall ein Kind bekommen, doch Mutter und Tochter stehen vor einem scheinbar unüberwindbaren Problem, da Abtreibungen auch im Tschad illegal sind. Doch Beziehungen, »heilige Bande« (Lingui) unter Frauen, helfen ihnen, die Schwangerschaft zu beenden – eine Krankenschwester, eine Frau, die im Geheimen Abtreibungen vornimmt, Aminas Schwester, die ihr finanziell hilft. Souveränes weibliches Handeln setzt sich über patriarchale Hindernisse hinweg.

Der Jubel bleibt im Halse stecken

Der Film "Call Jane" handelt von einer verheirateten, konservativen US-Amerikanerin, der in den 1960er Jahren eine Abtreibung verweigert wird, obwohl sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schwangerschaft nicht überleben wird. (Foto: via filmstarts.de)

Das ist auch der Fokus des vierten, 2022 erschienenen Films »Call Jane« von Phyllis Nagy mit Elizabeth Banks und Sigourney Weaver in den Hauptrollen, der auf einer wahren Geschichte beruht: Einer konservativen, verheirateten Frau in Chicago wird in den 1960er-Jahren eine Abtreibung verweigert, obwohl sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an der Schwangerschaft sterben wird. Sie findet Hilfe bei einer Gruppe von Aktivistinnen, die geheime Abtreibungen organisiert, steigt dort selbst ein. Schließlich lernt sie sogar, wie man Embryonen aus dem Uterus entfernt und führt Hunderte von Behandlungen durch.

Der Film endet 1973 mit dem Sieg der Aktivistinnen, als ihre illegalen Aktivitäten mit dem Urteil »Roe vs. Wade« überflüssig werden. Doch der Jubel bleibt dem Publikum im Halse stecken, weil es ja weiß, dass gleichzeitig mit dem Erscheinen des Films der US-Supreme Court dieses Urteil aufgehoben hat. In zahlreichen Bundesstaaten sind Abtreibungen jetzt wieder illegal.

Geht die ganze Geschichte also von vorne los? Sicher ist, dass der Kampf für reproduktive Gerechtigkeit und die Menschenwürde ungewollt Schwangerer noch lange nicht zu Ende ist. Aber die Vorzeichen sind heute andere: Auf der Anklagebank sitzen nicht mehr jene, die Abtreibungen vornehmen, sondern alle, die sich – wie, so muss man es leider sagen, die christlichen Kirchen – nicht eindeutig auf die Seite ungewollt Schwangerer in ihrem Kampf für Würde und körperliche Selbstbestimmung stellen.

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Christa Lenz-Modni  25.07.2023, 22:50 Uhr:
Abtreibungsgegner sollten mal ihre Sichtweise ändern:
HAT ES EIN KIND, EIN MENSCH VERDIENT,
DASS ES BEI EINER MUTTER AUFWÄCHST,
DIE ES NICHT LIEBT,
NICHT BEREIT UND DAZU IN DER LAGE IST ES ANZUNEHMEN ?
IST EINE ABTREIBUNG NICHT VIELLEICHT HUMANER ?

Monika Ederer-Mosing 20.07.2023, 18:17 Uhr:
Ein mit mir verwandter Arzt hat oft ungeborene Kinder im Ultraschall gesehen. Er sagt mir, er habe gesehen, dass sie schon am Daumen lutschen. Also seien sie empfindungsfähig. Er betont, dass er nicht religiös sei. Aber niemand sei so wehrlos wie ein ungeborenes Kind. Seine Meinung sei derzeit unpopulär, aber später einmal werde man erkennen: Mord bleibt Mord. Nur nach Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr für Mutter oder Kind sei Abtreibung zu erlauben. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe nachgelesen, wie sich das Nervensystem des Fötus entwickelt und schon vor der Geburt ausgebildet ist. Der Ethiker Peter Singer will sogar die Tötung behinderter Neugeborener erlauben, weil Tiere, die man zum Essen töten darf, mehr Persönlichkeit hätten als diese. Gegen Singer haben sich Behinderte empört. Leider steht in obigem Artikel nichts über all diese Aspekte des Themas "Abtreibung".

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