Ein Buch fürs Leben …
Beruhigende Erklärung für Die absurde Welt
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Imposant sind die Mythen der griechisch-römischen Götterwelt der Antike. Zahlreich sind die mythischen Versatzstücke, die sich in der neuzeitlichen Wissenschaft finden – vom Ödipuskomplex bei Sigmund Freud und Elektrakomplex bei Carl Gustav Jung bis hin zur Namensvergabe für zahlreiche Sterne, Planeten und Raketen (Saturn!). Doch am meisten bin ich beeindruckt von den Kunstwerken, zu denen viele Künstler und Künstlerinnen durch die klassischen Mythen inspiriert wurden. Und von Gérard Denizeaus Werk »Klassische Mythen in Bildern erzählt. Meisterwerke der Malerei von Goya bis Picasso« (wbg Theiss; vergriffen; nur antiquarisch, bei booklooker.de). Gérard Denizeau ist ein französischer Kunsthistoriker, Musikwissenschaftler und Schriftsteller, der viele Bücher zu etlichen Aspekten der historischen und aktuellen Kunst verfasst hat. Sein Bildband über die klassischen Mythen ist opulent ausgestattet mit hervorragenden Reproduktionen und genauen Kommentaren. Was ich sehr spannend finde, sind die Bildausschnitte, die er der ganzseitigen Abbildung des Kunstwerks auf Doppelseiten folgen lässt und akribisch erläutert. Etliche Mythen und entsprechende Gemälde handeln von Gewalt in der Götterwelt (wie auch viele Erzählungen in der hebräischen Bibel). Etwa wenn Saturn eines seiner Kinder verschlingt, wie es Francisco de Goya gemalt hat. Saturn ist die römisch-lateinische Analogie zu Kronos, dem griechischen Titan. Von ihm wurde erzählt, er habe seinen Vater überwältigt, kastriert und anschließend seine Kinder gefressen, bis er schließlich von seinem sechsten Kind, Jupiter, gestürzt worden sei. Ich sinnierte oft, was das zu bedeuten hat. Denizeau deutet es so: »Die Mythologie hat den Menschen eine beruhigende Erklärung für die absurde Welt an die Hand gegeben, in der sie gegen ihren Willen geworfen wurden. (…) Natur, Götter, Menschen – mit der Verbindung dieser drei Kategorien setzt die Mythologie ihre Logik gegen die Absurdität des Seins.« Beruhigende Erklärung? Das finde ich nicht. Vielmehr bin ich demnach nicht nur Göttern und Naturgewalten ausgeliefert, sondern auch Menschen. Daher glaube ich, dass diese Mythen eine Projektion der Menschen in einen vermeintlichen Götterhimmel sind, um die eigene Gewalttätigkeit und Brutalität auf Distanz zu halten und außerhalb ihrer selbst die Ursache und die Verantwortung dafür anzusiedeln. So sehe ich auch heute die diversen Verschwörungserzählungen, die uns davon entlasten, sich selbst als Mitwirkende am aktuellen politischen und gesellschaftlichen Chaos zu sehen. Wir sind verstrickt und darüber erschrocken. Die Mythen zeigen mir: Unter der Oberfläche gären ständig die Gegensätze, die destruktiven Kräfte sind enorm, und unsere Zivilisation hat nur einen dünnen Firnis. Ich sehe vergebliches Tun, doch habe ich trotzdem Hoffnung. Tizian war beauftragt worden, 1549 ein Bild mit Sisyphos zu schaffen. Die Botschaft Karls VI. darin: Es ist vergeblich, sich gegen seine Herrschaft aufzulehnen. Denizeau stellt die subtilen Aspekte heraus.
Norbert Copray ist geschäftsführender Direktor der Fairness-Stiftung. Er leitet seit 1977 das Rezensionswesen von Publik-Forum.




