Entwicklungshilfe und Nachhaltigkeit
Hilfe für Entrechtete in Mittelamerika
Die Geburtstagsfeier fällt aus. Wegen Corona. Dabei hätte die Christliche Initiative Romero Grund zu feiern: Vor vierzig Jahren, 1981, wurde sie von Menschen gegründet, die in der El-Salvador-Solidaritätsarbeit aktiv waren. Ihr Name erinnert an den 1980 ermordeten Erzbischof von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero. Die meisten der damals aktiven Gruppen gibt es nicht mehr, Mittelamerika ist seit den 1990er-Jahren weitgehend aus der deutschen Medienöffentlichkeit verschwunden. Doch die Christliche Initiative Romero (CIR) ist in ihrem vierzigsten Jahr eine lebendige Organisation mit dreißig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Vamos caminando – weitergehen, nicht stehenbleiben, voll Vertrauen –, diesen in lateinamerikanischen Basisgruppen häufig verwendeten Satz scheint sich die Initiative, die ihren Sitz in Münster hat, zu eigen gemacht zu haben. Sie ist nicht bei der Solidarität mit den Bürgerkriegsflüchtlingen in El Salvador stehengeblieben, die in den Anfangsjahren zentral war, nicht bei der Unterstützung der Basisgemeinden. Bald unterstützte sie Gruppen und Organisationen, die sich für die Rechte arbeitender Kinder oder für Frauen einsetzen, seit einiger Zeit auch Gruppen, die für die Rechte queerer Menschen eintreten, »denn das ist die Gruppe, die am meisten unter Unterdrückung leidet«, wie Geschäftsführer Thomas Krämer sagt.
Aus dem Einsatz für die Rechte von Arbeiterinnen in Maquilas, den Nähfabriken für den Weltmarkt, erwuchsen Kampagnen für faire Bekleidung und ökofaire Beschaffung. Themen, bei denen der Zusammenhang zwischen dem Konsum der Menschen in Deutschland und den Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Mittelamerika besonders deutlich wird. Gerade erst hat sie ihren »Label-Check« zur schnellen Orientierung bei Siegeln und Standards wie Fairtrade, Gepa fair+ oder Rainforest Alliance aktualisiert und auch im Hosentaschenformat herausgebracht, um ethischen Einkauf leichter zu machen.
Aktuell setzt die Initiative verstärkt auf das Thema Klimagerechtigkeit: »Die Menschen in Mittelamerika bekommen die Folgen der Klimakrise schon viel stärker zu spüren als wir«, sagt Geschäftsführer Thomas Krämer. Die Trockenzeit verlängere sich, der Anbau von Mais und Bohnen für den Eigenbedarf werde schwieriger, durch die Erwärmung wandere der Kaffeeanbau in immer höhere Regionen, wo es bislang noch Wald gab. Die Forderung von Fridays for Future, »system change, not climate change«, hat die CIR zu ihrer gemacht. »Veränderungen müssen hier ansetzen, denn was die Leute in Mittelamerika spüren und erleiden, ist Auswirkung unseres Verhaltens hier«, sagt Krämer.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Die Arbeit der Initiative finanziert sich aus Spendengeldern und aus öffentlichen Mitteln der EU und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Bei allen Unterschieden zur Gründungszeit – eines erinnert fatal an die Situation vor vierzig Jahren: die Repression, unter der Menschen in Mittelamerika leiden. In El Salvador ist es der zunehmend autoritär agierende Präsident Nayib Bukele, der Parlament und Gerichte systematisch entmachtet. In Nicaragua werden Oppositionelle verhaftet und Journalisten unter Druck gesetzt. Präsident Daniel Ortega sichert seine Macht mit allen Mitteln. »Das zu erleben ist beängstigend und frustrierend«, sagt Krämer. »Die zivilgesellschaftlichen Kräfte dort zu stärken ist deshalb wichtiger denn je.« Büroleiterin Anne Nibbenhagen, Frau der ersten Stunde bei der CIR und langjährige Vereinsvorsitzende, ist überzeugt, dass eines fundamental anders ist als vor vierzig Jahren: »Viele Personen, insbesondere die Frauen, haben sich sehr verändert. Sie haben heute ein ganz anderes Bewusstsein als früher.« Durch die Arbeit der Frauenrechtsorganisation Aguas Bravas (Publik-Forum 16/2018), die die CIR seit Langem unterstützt, sei es heute in Nicaragua möglich, öffentlich über sexuelle Gewalt zu sprechen.
Ein weiterer Unterschied zur Anfangszeit: Innerkirchliche Konflikte – wie etwa der Streit um die Theologie der Befreiung in der katholischen Kirche – spielt für die Initiative keine Rolle mehr. Sie handelt im Sinne Oscar Romeros, Stimme derer ohne Stimme zu sein. In theologische und kirchliche Debatten aber mischt sie sich nicht mehr ein.