Zur mobilen Webseite zurückkehren

Welchen Tag haben wir eigentlich?

vom 29.03.2020
von Ortrud Harhues, Münster

Oder: Woran erkenne ich den Sonntag in Zeiten von Corona?

4 Wochen freier Zugang zu allen PF+ Artikeln inklusive E-Paper

Ich sitze bei einem späten Frühstück am Küchentisch. Wie gestern und vorgestern und wahrscheinlich auch morgen. Es ist still. Keine Autos auf der Straße, kaum Fußgänger*innen. Die Sonne scheint. Durchs offene Fenster weht ein kühler Wind.

Welcher Tag ist heute eigentlich? Ich kann mich nicht erinnern. Ich schalte das Radio an. Sonntagsmagazin. Okay, heute ist Sonntag, aber noch spüre ich es nicht. Die Glocken läuten nicht, ich gehe nicht zur Kirche, der Gottesdienst ist abgesagt. Ich besuche nicht die Pfarrbücherei. Bis auf Weiteres geschlossen.

Was tue ich heute?
Ich könnte meine Onlinefortbildung fortsetzen, wie gestern und vorgestern und morgen wahrscheinlich auch. Ich kann ein paar YouTube-Videos schauen oder einen Spaziergang machen, wie gestern und vorgestern und morgen wahrscheinlich auch. Frische Luft ist gut fürs Immunsystem und die Ansteckungsgefahr eher gering. Ich kann nicht ins Café gehen, wie ich es sonst manchmal am Sonntag tue. Alles geschlossen. Kann nur noch Essen online oder per Telefon bestellen mit kontaktfreier Lieferung. Sollte ich vielleicht tun, um einem Restaurant das Überleben leichter zu machen. Ich könnte sogar in den Supermarkt gehen, wie gestern und vorgestern und morgen wahrscheinlich auch. Sonntagsöffnung der Lebensmittelläden ist in Zeiten der Pandemie erlaubt.

Sonntag und Werktag – ein einziger Zeitbrei. Kaum unterscheidbar. Ich muss den Unterschied selbst markieren. Heute ist Sonntag. Der PC bleibt aus. Die Waschmaschine auch. Ich suche keinen offenen Supermarkt. Ich zünde zu Hause eine Kerze an, lese einen Bibeltext, und heute Nachmittag koche ich mir einen guten Lady Grey und genieße ihn mit den leckeren Keksen, die noch im Schrank liegen.

Anzeige

Publik-Forum EDITION

»Das Ende des billigen Wohlstands«

Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr

Sonntag. Ich kann anders handeln, anders sein als gestern, vorgestern und morgen auch. Ich kann den Sonntag als besonderen Tag markieren, aber ich muss es selber tun, denn die Gesellschaft tut es in der Krise nicht.

Aber halt, heute Abend ein neuer Tatort in der ARD. Gott sei Dank – wenigstens das bleibt.

______

Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

______

Jeden Morgen kostenlos per E-Mail: Spiritletter von Publik-Forum

Kommentare und Leserbriefe
Ihr Kommentar
Noch 1000 Zeichen
Wenn Sie auf "Absenden" klicken, wird Ihr Kommentar ohne weitere Bestätigung an Publik-Forum.de verschickt. Sie erhalten per E-Mail nochmals eine Bestätigung. Der Kommentar wird veröffentlicht, sobald die Redaktion ihn freigeschaltet hat. Auch hierzu erhalten Sie ein E-Mail. Siehe dazu auch Datenschutzerklärung.

Mit Absenden des Kommentars stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten zur Bearbeitung des Kommentars zu. Zum Text Ihres Kommentars wird auch Ihr Name gespeichert und veröffentlicht. Die E-Mail-Adresse wird für die Bestätigung der Bearbeitung genutzt. Dieser Einwilligung können Sie jederzeit widersprechen. Senden Sie dazu eine E-Mail an [email protected].

Jeder Artikel kann vom Tag seiner Veröffentlichung an zwei Wochen lang kommentiert werden. Publik-Forum.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus anderen Gründen inakzeptabele Beiträge nicht zu publizieren. Siehe dazu auch Netiquette.