Erzählungen: Museum der Einsamkeit
Die Schönheit in der Traurigkeit

Erzählungen. Eine alte Dame möchte ihre letzten Jahre am Meer verbringen. Nach dem Tod ihres Mannes sucht sie ein neues Zuhause und findet im Netz die »Seniorenresidenz Rosenhöhe« an der Lübecker Bucht – die sich als Waschbetonturm mit 35 Stockwerken entpuppt. Und dann entdeckt die mitgereiste Tochter im abgenutzten und überteuerten Appartement auch noch Kratzspuren innen an der Wohnungstür.
»Abschied von Baden-Baden« ist eine von neun meisterhaften Erzählungen im neuen Buch von Ralf Rothmann. Ihr entstammt der Titel des Bandes: Die Tochter, über 40 Jahre alt, alleinstehend, sitzt am späten Abend mit einem Cognac in der Bar ganz oben im Wohnturm. Beunruhigt von bösen Ahnungen und ermüdet von den Missverständnissen im Kontakt mit der Mutter, will sie an der Bar über ein »Museum der Eisenzeit« plaudern, das bald gebaut werden soll. Leicht betrunken sagt sie aber stattdessen »Museum der Einsamkeit«. Am nächsten Morgen bedrängt sie die Mutter, sich einen Hund anzuschaffen. Die widerspricht: »Ich kann sehr gut allein sein, ich brauche keinen Hund wie all diese traurigen alten Frauen. Habe ich nicht meine Familie?«
Ralf Rothmann schreibt von alten und jungen Menschen, von kranken und gesunden, einfachen und gebildeten, alleinlebenden und anderen, die in Einsamkeit geraten. Er lässt seine fein gezeichneten Figuren aber nicht verzweifeln. Immer gibt es einen Strahl von Lebensmut, Sehnsucht und Wärme. Es ist tröstlich, dass auch in der Traurigkeit Schönheit liegt.
? Ralf Rothmann: Museum der Einsamkeit. Suhrkamp. 268 Seiten. 25 €
