Abenteuerroman
Mein Bruder, der Bär

Roman. Kanada 1934, ein Holzfällercamp tief in den Wäldern, geprägt von bitterer Armut, mitten im Winter. Pearly Everlasting, die Titelheldin, ist 15 Jahre alt, und ihr gleichaltriger Bruder heißt Bruno und ist ein Bär. Der Vater hatte ihn als Baby verwaist gefunden, und die Mutter ihn sich an die Brust gelegt; die ganze Familie, ja sogar das gesamte Camp akzeptiert ihn als Familienmitglied. Die Bedrohung kommt von außen, in Gestalt allzu geschäftstüchtiger Holzhändler, die auch das finanzielle Potenzial des Bären erkennen.
Von hier aus entwickelt die Autorin Tammy Armstrong einen eindringlichen, spannenden, bewegenden und an vielen Stellen sogar urkomischen Abenteuerroman. An den Schilderungen der Wanderungen durch Wald und Schnee merkt man, dass die Autorin auch Lyrikerin ist. Alle wichtigen Charaktere sind liebevoll mit Ecken und Kanten gezeichnet, von der Heldin über ihren Bruder, der am liebsten Melasse-Kekse verspeist, bis hin zur »Liederfängerin« – einer Anthropologin offenbar, »die sich für die Gewohnheiten von Bäumen und Wind interessiert«. Sehr bewusst gestaltet Armstrong die Verbindungen von Mensch und Tier. Wer schon zu viele Geschichten gelesen hat, in denen Hund, Fuchs oder Esel zunächst mit viel Wärme beschrieben und dann dem Plot geopfert wurden, darf hier aufatmen. Dabei wird Bruno, der Bär, nicht vermenschlicht oder verniedlicht; genauso wenig wird er als wilde Kreatur auf Distanz gehalten. Er ist stark und ungezähmt, »rau und gutherzig«, wie seine Schwester Pearly auch.
? Tammy Armstrong: Pearly Everlasting.
Übersetzt von Peter Torberg.
Diogenes. 368 Seiten. 25 €
