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Bettina Röder

Es gab Zeiten, da hätte man mich für verrückt erklärt, wenn ich behauptet hätte, ich arbeite im Hauptstadtbüro Berlin für die Zeitschrift Publik-Forum

Das war Ende der achtziger Jahre, die Mauer stand noch und das Wort »Wiedervereinigung« war etwas ganz Unanständiges in Ost wie West. Erst recht die Vorstellung, dass Berlin zur Hauptstadt des vereinten Landes würde. Da wäre man noch als Mensch mit einem Gedankengut rechts von der Mitte beargwöhnt worden. Oder glatt für verrückt erklärt.

Damals, kurz vor dem entscheidenden Jahr der Friedlichen Revolution 1989, lebte ich im Osten der geteilten Stadt, mein Mann, West-Berliner Journalist und einer der in der DDR akkreditierten Korrespondenten, pendelte täglich zwischen den Welten. Ich arbeitete als Redakteurin bei der Ost-Berliner protestantischen Zeitung Die Kirche. Und gerade darum hätte ich wohl auch eine Stelle bei Publik-Forum gar nicht so erstrebenswert gefunden: Es gab dort, wo ich war, genug zu tun. Die Zeitung – vom damaligen Berlin-Brandenburger Bischof Gottfried Forck herausgegeben – war so etwas wie ein DDR-Oppositionsblatt mit Folgen: Allein 1988 durfte es fünf Mal nicht erscheinen, einmal wurde es mit weißen Flecken gedruckt, und im Herbst 1988, genau ein Jahr vor der Friedlichen Revolution, gab unser Blatt den Anstoß, dass 200 Menschen in Berlin für Pressefreiheit auf die Straße gingen.

Wie auch anderswo im Land klagten sie immer mutiger ihre Rechte ein. Dass das auf der Straße geschah, und zwar gewaltlos, weil die allermeisten aus den Kirchen kamen, hätte ich mir wiederum knapp zehn Jahre früher ebenfalls nicht träumen lassen. Das war um das Jahr 1980, ich unterrichtete als Kunsterzieherin an einer Schule, nachdem ich Kunstgeschichte studiert hatte. Allenfalls an eine reformierte DDR glaubte ich.

Und heute, da ich nun schon seit zwölf Jahren als Redakteurin im Hauptstadtbüro von Publik-Forum arbeite? Da ist für mich als Journalistin die Erfahrung von damals wichtig geblieben, dass man dem Volk, den »Menschen auf der Straße«, mehr politische Mündigkeit zutrauen sollte, als das heute passiert. Beim Thema Frieden ebenso wie in Regierungsangelegenheiten. Oder auch bei Entwicklungen in den neuen Bundesländern und Mittel-und Osteuropa. Das alles sind Felder, die ich auch in der Redaktion bearbeite.

Mein Weg führt aber auch regelmäßig in das Bundespressehaus, denn ich bin für die Redaktion Mitglied der Bundespressekonferenz. Dann fahre ich mit dem Rad durch das Regierungsviertel und einfach mal so über die ehemalige Grenze. Auch das ist für mich bis heute alles andere als so ganz normal.

Anmerkung: Den Text hat Bettina Röder im Jahr 2000 geschrieben.

KURZBIOGRAFIE: Bettina Röder, geboren 1953 in Dresden, war verantwortliche Redakteurin im Berliner Büro der Zeitschrift Publik-Forum. Themenschwerpunkte: Bundestag, neue Bundesländer, Friedenspolitik, Ost-und Mitteleuropa. Studium der Kunsterziehung, Kunstgeschichte, Deutsch. Fünf Jahre Lehrerin für Mittel-und Oberstufe, 1981–83 Redakteurin bei DER SONNTAG, dann freie Journalistin, unter anderem für Sonntagsblatt, epd, WDR, Deutschlandfunk. 1987 bis 1997 Redakteurin bei der evangelischen Wochenzeitung DIE KIRCHE in Ost-Berlin, 1997 bis 1998 Chefredaktion Mitteldeutsche Kirchenzeitungen. Von 1998 bis 2018 war sie bei Publik-Forum.