Rapunzel, Rapunzel ...
Gestern wollte ich mich nicht damit abfinden, das Klinikgelände wieder zu verlassen, ohne Fritz gesehen zu haben.
Im Anschluss an meine »Lockdown-Hamster-Einkäufe« hatte ich für Fritz eine »OsterüberNaschung« an der Pforte abgegeben.
Anfangs hatte er mir bei der Beschreibung seines Zimmers einmal mitgeteilt, dass er genau von oben auf bzw. in das Kasseler »Ehrenmal für die Opfer des Faschismus« schauen kann.
Also stellte ich mich vor das Ehrenmal – wie der verliebte Königssohn –, schaute in Richtung Krankenhaus – wie der Königssohn zum Turm hinauf –, und ließ das Telefon bimmeln. So wie der Königssohn rief: »Rapunzel, Rapunzel, lass mir dein Haar herunter!«
Fritz wedelte daraufhin mit dem Lamellenvorhang, sodass ich sein Fenster unter den hundert möglichen Fenstern erkennen und ich Fritz aus der Ferne hinter dem verschlossenen Fenster sehen konnte.
Im Folgenden hält der weitere Vergleich mit dem Märchen nicht mehr stand. Das mit den Haaren konnte beim besten Willen nicht funktionieren – aber wir konnten uns von Ferne sehen, und das Telefon diente uns als Gegensprechanlage. So haben wir uns ein Weilchen süße Töne zugeflüstert, bis Fritz schließlich sein Abendbrot weiter essen wollte und wir uns voneinander verabschiedeten.
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Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Erzählprojektes von Publik-Forum »Die Liebe in Zeiten von Corona«. Wir laden unsere Leserinnen und Leser ein zu unserem Erzählprojekt: Bitte schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Nöte, Ängste und Ihre Zuversicht in Zeiten von Corona.