Leserbrief
Keine reine Wahrheit
Zu: »Die stille Kraft der Wandlung« (14/2025, Seite 30-33)
Danke für die Erinnerung an Carl Gustav Jungs wichtige Mission, auch das Religiössein zum Bestand jedes Menschenlebens zu zählen. Damit dies nicht ins Abwegige gerät, wie wir es jetzt vielfach erleben, ist von Bedeutung, dass die organisierten Religionen den Gedanken beherzigen, dass es eine »allein gültige Wahrheit« nicht gibt. Das zu bedenken fällt offensichtlich allen Religionen im Konfliktfall schwer: Sehr nützlich war in dieser Hinsicht die mehrfache Erinnerung in Publik-Forum an das Konzil von Nicäa, um zum Beispiel den dogmatischen Duktus des Glaubensbekenntnisses zu relativieren, damit sich »die religiöse Kraft des Verbindenden und der Wandlung« entfalten kann. Auf dieser Spur werden die »Friedensstifter« gefunden, die Michael Schrom vergeblich in den aktuellen kirchlichen Verlautbarungen sucht. Aber wohin führt seine einleitende Feststellung, dass Jesus nie in die Rolle gekommen sei, »politische Verantwortung übernehmen zu müssen«? Führt das nicht zwangsläufig zur Zwei-Reiche-Lehre, die nichts ausgerichtet hat – die aber eben in kirchlichen Verlautbarungen als letzter Ausweg aus der Sackgasse immer wieder vorkommt; etwa in den Worten der EKD-Ratsvorsitzenden, dass Friedens- und Sicherheitsethik zusammengedacht werden müssten. Friedensethik bedenkt immer auch das Sicherheitsbedürfnis der »anderen Seite«; dann braucht es keine eigene Sicherheitsethik – sie ist zumindest nicht die Sache religiöser Verlautbarungen.
Josef Göbel, Berlin
