Leserbrief
Befremdliches Urteil
Zu: »Sollen wir mehr und länger arbeiten?« (12/2025, Seite 8-9)
Gut, dass Publik-Forum dem Pro-Kommentar von Ulrich Körtner für eine Verlängerung der Arbeitszeit einen fundierten Contra-Part von Franz Segbers gegenübergestellt hat, der sich kritisch gegen die konservativen Rufe nach Verlängerung der Jahres- und Lebensarbeitszeit ausspricht. Körtners Entwertung der Viertagewoche und erst recht des bedingungslosen Grundeinkommens als realitätsfernes »Wunschdenken« ist befremdlich, da man von einem Theologieordinarius schon erwarten dürfte, dass er sich zuvor sachkundig macht. Das gilt für die von Segbers erwähnten erfolgreichen Versuche und Studien zur Viertagewoche. Noch mehr gilt es für das von dem Innsbrucker Theologen Herwig Büchele (gemeinsam mit Liselotte Wohlgenannt) schon 1990 begründete Modell des »Grundeinkommens ohne Arbeit« (Europa Verlag). Auch Bücheles Nachfolger an der Spitze der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Markus Schlagnitweit, zeigt, dass diese Forderung »fest auf dem Boden der katholischen Soziallehre« steht. Gut: Körtner ist evangelischer Theologe, aber in Zeiten der Ökumene und aus fachlicher Redlichkeit kann man doch davon ausgehen, dass auch ein Protestant sich mit grundlegenden gesellschaftspolitischen Ansätzen der katholischen Kolleginnen und Kollegen auseinandersetzt – bevor er das Lied der Sicherung eines (ohnehin fragwürdigen) Wohlstands gemeinsam mit den Konservativen singt. Josef Christian Aigner, A-Innsbruck
Bundeskanzler Friedrich Merz ist der Meinung, die Deutschen müssten mehr arbeiten, also sagt er: Die Deutschen sind faul. Diesem Argument schießt sich Ulrich Körtner an. Aber faul ist, wer das Regierungsnarrativ nachplappert und eine »theologische« Pseudobegründung nachschiebt, statt die Ursachen des Finanzmangels zu benennen: die fortlaufende »Entlastung« der Reichen. Die Argumentation des Herrn Körtner ist ein neoliberales Glaubensbekenntnis. Mit der Sicht Jesu, die Welt aus der Sicht der Armen zu betrachten, hat das nichts zu tun. Sie kann allenfalls noch als armselige staatskirchliche Argumentation durchgehen. Adalbert Kirchgäßner, Konstanz
Der größte Teil des existierenden Arbeitskräftemangels kann nur durch geeignete Rahmenbedingungen behoben werden. Die Einhaltung der täglichen Arbeitszeit basiert nämlich auf Gründen der Betriebssicherheit: Überlange Arbeitszeiten führen verstärkt zu Unfällen und Fehlern. Insofern sollte das überhaupt nicht diskutiert werden. Die geringere Durchschnittszahl von geleisteten Arbeitsstunden beruht auf einer hohen Teilzeitquote insbesondere von Frauen. Das Problem lässt sich nur durch bessere Kinderbetreuung und Pflege lösen. Es fehlen vor allem Facharbeiter und Pflegekräfte. Bessere Schul- und Ausbildung und bessere Arbeitsbedingungen werden gebraucht! Abgesehen davon: eine Viertagewoche lässt Raum, um die Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur, zunehmende Hitze und dysfunktionale Kinder- und Jugendbetreuung zu managen und Ehrenämter wie Mitarbeit bei Vereinen und Gemeindearbeit wahrzunehmen. Sibylle Brosius, publik-forum.de
