Film
Warten auf ein Tier
Kino. »Die Urform des Lesens ist das Spurenlesen«, erkennt der Reiseschriftsteller Sylvain Tesson gegen Ende seines surrealen Trips im Hochland von Tibet. Da hat er, zusammen mit dem renommierten Naturfotografen Vincent Munier, zu guter Letzt doch noch den Abdruck der Tatze eines Schneeleoparden entdeckt. Der Dokumentarfilm zeigt das Duo bei seiner wochenlangen Suche nach der fast ausgerotteten Großkatze. Ob es stürmt oder schneit – die beiden Freunde liegen stundenlang in der Natur auf der Lauer und richten ihre Kameraobjektive auf Felswände. Der Weg ist das Ziel: Die konzentrierte Beobachtung, in der die zwei allmählich ihre Umgebung dechiffrieren, entwickelt eine hypnotische Intensität. Die Mondlandschaft in 5000 Metern Höhe erweist sich als unberührtes Paradies mit Antilopen, urzeitlich anmutenden Yaks, Wölfen, Wildkatzen und Bären. Sie sind mindestens so neugierig auf Menschen wie diese auf sie. Unterlegt sind die fantastischen Panoramen vom minimalistischen Soundtrack von Nick Cave und vom Off-Kommentar von Tesson, der sein Glücksgefühl in poetischen Metaphern zu einer Philosophie der Geduld und Achtsamkeit entwickelt. Selten hat ein Naturfilm auf so ergreifende Weise den Ruf der Wildnis, die uralte Sehnsucht nach dem »goldenen Zeitalter, in dem Tiere, Menschen und Götter eine gemeinsame Sprache hatten«, spürbar gemacht.