Leserbrief
Krippenspielidylle
Zu: »Das Weihnachtshaus« (24/2023, Seite 12-16)
Alle Jahre wieder: die biblische Weihnachtserzählung, völlig entstellt durch Kitsch und Kommerz. Nichts ist mehr übrig von ihrem Urgrund. Das Märchen um den holden Knaben im lockigen Haar, das Jesulein im Krippelein, hat die an Flüchtende, Erniedrigte und Beleidigte gerichtete frohe Botschaft verdrängt. Felicitas Hoppe bedauert diese Verharmlosung angesichts der alltäglichen Schrecken, die uns umgeben. Zu Recht versucht sie die Provokation aufzudecken, die im Kern der biblischen Überlieferung liegt. Der Hinweis auf ebendiese Provokation wäre eigentlich in besonderer Weise Aufgabe der kirchlichen Verkündigung. Statt der immer noch gern folgenlos konsumierten, verniedlichenden Krippenspielidylle müsste die Auslegung der Weihnachtsgeschichte einhergehen mit der Aufklärung über die sozialgeschichtlichen Hintergründe zur Zeit der Entstehung der Evangelien: die »pax romana«, diesen gnadenlosen Gewaltfrieden der gottgleichen, erhabenen römischen Kaiser und ihres Einschüchterungs- und Ausbeutungsapparats. Angesichts der in diesen Tagen erneut veröffentlichten Erkenntnis, dass der afrikanische Kontinent am meisten durch die von den Industrieländern zu verantwortende Klimakrise betroffen ist, und den in unserer Gesellschaft vermiedenen Fragen nach den wirklichen Ursachen der Flucht so vieler Menschen könnte man meinen, das zynische Credo der pax romana noch heute zu hören. Warren Buffett hat es auf den Punkt gebracht: »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir werden ihn gewinnen.« Es wird Zeit, dass sich die christlichen Kirchen deutlich gegen die pax capitalistica positionieren – damit dem Volk, das im Finstern wandelt, ein Licht aufgeht.
Georg Pape, Ginsheim-Gustavsburg