INF-Vertrag: Ende der Abrüstung

Deutschland streitet über Feinstaub und Stickoxide, Dieselfahrverbote und ein Tempolimit auf Autobahnen, über Frauen-Parität in den Parlamenten und eine Antwort auf den Brexit. Die Deutschen machen sich zurecht Sorgen ums Klima, um die Demokratie, um die EU. Nun müssen sie auch noch um den Frieden bangen.
Denn mit der Aufkündigung des INF-Vertrags, des letzten Abrüstungsabkommens aus der Zeit des Kalten Kriegs, haben die USA und Russland eine brandgefährliche Entwicklung eingeleitet: Beide haben nicht nur längst begonnen, ihre atomaren Mittelstreckenraketen entgegen diesem Vertrag zu modernisieren. Sie entwickeln ebenso wie China und andere Staaten weitere neue, moderne Waffensysteme, die auch unterhalb der Schwelle eines Atomkriegs die Welt bedrohen.
Wer ist für den Bruch des INF-Vertrags verantwortlich? Ist es US-Präsident Donald Trump, der ihn vergangene Woche wie angedroht gekündigt hat, woraufhin Russlands Präsident Wladimir Putin nachzog? Oder ist es Russland, weil es angeblich schon länger neue weitreichende Mittelstreckenraketen baut, worauf die USA und die Nato nur reagierten? Fest steht: Die Phase des Abrüstens haben beide schon seit einer Weile beendet und ein neues Wettrüsten begonnen, ein womöglich noch bedrohlicheres als in der Zeit bis 1989/90.
In Deutschland entsetzt das viele. Wird Europa der Leidtragende sein? Politiker in Berlin und Brüssel appellieren an beide Seiten, den Vertrag zu retten. Leider sind das hilflose Versuche. Denn das Wettrüsten ist in vollem Gange, mit China als drittem globalen Mitspieler. Auch die kommende Weltmacht Nummer Eins ist dabei, neue Waffensysteme zu entwickeln und zu erproben, um seine Macht über das südchinesische Meer, eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt, und seine Vormacht in der Region zu zementieren.
Europa bleibt die Statistenrolle
Die geostrategischen Interessen Pekings reichen jedoch weit darüber hinaus: Das politisch kommunistische und wirtschaftlich kapitalistische Reich der Mitte sichert sich weltweit den Zugang zu wichtigen Rohstoffen und Handelswegen.
Dass die Regierung in Peking die USA und Russland jetzt mahnte, den INF-Vertrag nicht aufzugeben, wirkt wie Hohn. Der Grund dafür liegt allein darin, dass China trotz seiner Atomwaffen mit den beiden anderen Großmächten militärisch noch nicht mithalten kann.
Europa schaut diesem Machtkampf der großen Drei um die Neuaufteilung der Welt hilflos, weil machtlos zu. Ohne eigene Strategie, ohne eine gemeinsame Politik, gelähmt durch die tiefen Konflikte innerhalb der EU. Europa spielt in dem globalen Großkonflikt kaum noch eine Rolle. Anders als während der Debatte um die Nato-Nachrüstung, aus der der INF-Vertrag von 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion resultierte, ist deshalb auch nicht zu befürchten, dass sich das neue Wettrüsten primär auf europäischem Boden abspielt. Die US-Regierung und Nato-Chef Jens Stoltenberg kündigten an, vorerst keine neuen Atomraketen in Europa zu stationieren. Das ist – wenn man so will – aus europäischer Sicht die gute Nachricht in der sehr schlechten.
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Die Großmächte haben kein Interesse an Abrüstung
Nicht weniger Sorge bereitet, dass die Konfrontationen in anderen Regionen der Welt zunehmen, nicht nur in Venezuela. Der Fokus der USA wie Russlands richtet sich schon lange auf Asien, zumal auch das Verhältnis zwischen Russland und China latent gespannt ist. Bereits Barack Obama hat dem asiatisch-pazifischen Raum wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet als den transatlantischen Beziehungen. Dies zeigte sich am Transpazifischen Handelsabkommen (TPP), das gegen China gerichtet ist.
Trump setzt diese Stoßrichtung mit seinem Handelskrieg gegen den größten Wirtschaftsrivalen China, aber auch gegen die EU aggressiv fort. Dazu passt seine Ankündigung, die amerikanischen Truppen aus Syrien und Afghanistan abzuziehen. Schon Obama hatte sich aus den Kriegen in der Ukraine und in Syrien herausgehalten. Er überantwortete sie inklusive der Flüchtlingsfrage den Europäern. Aus der Sicht Trumps gehört der Nahe und Mittlere Osten zum Hinterhof Europas, nicht Amerikas. Das Öl aus den arabischen Staaten brauchen die USA dank neuer Fördertechniken im eigenen Land nicht mehr so dringend. Um die Kriege in Syrien und Afghanistan sollen sich daher die Europäer kümmern, die ohnehin zu wenig zu den Militärausgaben der Nato beitrügen. Dazu sind sie derzeit weder willens noch in der Lage.
Traditionell ist es einer Mehrheit der Deutschen zuwider, in militärischen und geostrategischen Kategorien zu denken. Ihr Bestreben richtet sich darauf, Konflikte auf friedliche Weise zu lösen, durch Diplomatie, durch Verhandlungen und Verträge, wenn es nicht anders geht durch Wirtschaftssanktionen. Deswegen wirken die Rückkehr alter imperialer Weltmachtpolitik und die verschärfte Konfrontation zwischen den USA und Russland, dreißig Jahren nach dem Ende des Kalten Kriegs auf sie wie ein Schock. Doch die internationale Realität lässt sich nicht verdrängen. Dass Außenminister Heiko Maas als Reaktion auf den Rückzug der USA aus dem INF-Abkommen zu einer Weltabrüstungsinitiative aufruft, ist aller Ehre wert, weil es dringend notwendig wäre. Doch es wird nicht dazu kommen, weil weder Trump noch Putin noch Xi Jinping Interesse an Abrüstung haben.
Im Gegenteil. Vor uns liegen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, in denen die atomaren Weltmächte – in wechselnden Verbünden – um ihre globalen Einflusssphären und ökonomische Vormachtstellung kämpfen werden. Es ist zu befürchten, dass dieser eiskalte globale Handelskrieg sich womöglich bis an den Rand eines militärischen Kriege entwickeln wird. Wenn etwa die USA sich, wie schon mehrfach angedroht, Pekings Eroberung von Inseln im Chinesischen Meer militärisch entgegenstellen.
Engagement für Frieden ist wichtiger denn je
Europa muss dringend eine Gegenstrategie entwickeln. Bedauerlicherweise kann sie keine rein pazifistische sein. In Brüssel und den Hauptstädten der EU-Staaten hat das Umdenken bereits begonnen. In Ansätzen ist die EU dabei, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, einschließlich gemeinsamer Rüstungs- und Verteidigungsanstrengungen und verstärkter militärischer Kooperation – bei gemeinsamen Auslandseinsätzen, aber auch zum Schutz der baltischen Staaten und Polens vor einem möglichen russischen Angriff oder zur Verteidigung des europäischen Nato-Gebiets.
Viel mehr als Planungen sind das jedoch bisher nicht. Und innerhalb der EU sind sie stark umstritten. Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie mehr für die Verteidigung ausgeben will, um die Bundeswehr wieder einsatz- und kampffähig zu machen. Aber auch das stößt in der Bevölkerung und in Teilen der Parteien auf Vorbehalte und Widerstand.
Eins ist jedenfalls gewiss: Die historisch gesehen kurze Friedens- und Glücksphase nach dem Zusammenbruch des Kommunismus – auch als Folge des damaligen Wettrüstens, dem die Sowjetunion am Schluss nicht mehr gewachsen war – ist mit dem Ende der Abrüstung höchst gefährdet. Für Frieden und Ausgleich zu kämpfen bleibt wichtiger denn je. Ob Mahnwachen, Friedens- und Abrüstungsappelle reichen werden?
aber leider: „Viel mehr als Planungen sind das jedoch bisher nicht….Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie mehr für die Verteidigung ausgeben will, um die Bundeswehr wieder einsatz- und kampffähig zu machen.“ Herr Greven bedauert: „Aber auch das stößt in der Bevölkerung und in Teilen der Parteien auf Vorbehalte und Widerstand.“
Das hätte die Propagandaabteilung der Frau von der Leyen nicht besser formulieren können.
Hat Herr Greven Angst, dass Deutschland bei der Neuaufteilung der Welt zu kurz kommt und wir unseren Lebensstandard nicht halten könnten? Stattdessen wäre es an der Zeit, unseren Raubzug in der Welt zu beenden.
Dem vorletzten Satz „Für Frieden und Ausgleich zu kämpfen bleibt wichtiger denn je“ stimme ich voll zu, aber was Herr Greven hier macht, ist das Gegenteil.
Ich bin entsetzt.
Mit friedlichen Grüßen
Axel Sauter
Weiter: „Europa schaut diesem Machtkampf der großen Drei um die Neuaufteilung der Welt hilflos, weil machtlos zu. Ohne eigene Strategie, ohne eine gemeinsame Politik, gelähmt durch die tiefen Konflikte innerhalb der EU. Europa spielt in dem globalen Großkonflikt kaum noch eine Rolle.“
Erleichtert bemerkt er aber: „In Ansätzen ist die EU dabei, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, einschließlich gemeinsamer Rüstungs- und Verteidigungsanstrengungen und verstärkter militärischer Kooperation – bei gemeinsamen Auslandseinsätzen, aber auch zum Schutz der baltischen Staaten und Polens vor einem möglichen russischen Angriff oder zur Verteidigung des europäischen Nato-Gebiets.“,
Fortsetzung folgt
Die Lehre daraus ist leicht zu fassen: Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales statt PESCO. Was haben wir Europäer in Asien verloren? Sollen sich die Supermächte dort finanziell ruinieren....
Mahnwachen etc. reichen definitiv nicht, es braucht eine drastische Beschränkung der Wahlkampfausgaben und empfindliche Sanktionen bei Überschreitung sowie Kriegsverbrecherprozesse gegen alle Verantwortlichen von Kriegen ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrats als abschreckendes Signal - wie es Alice Mahon bei ihrer Zeugenaussage vor dem Haager Tribunal anno 2006 (mit den Hinweisen auf Afghanistan und Irak) implizit anmerkte:
http://www.icty.org/x/cases/slobodan_milosevic/trans/en/060301IT.htm