Ein Buch fürs Leben …
»Riecht nicht der weiße Mann nach Tod?«

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Winnetou, Chingachgook und Pocahontas waren mir in der 1960er-Jahren wichtige Figuren, weil sie mir jesuanisch erschienen und mich in meinem Glauben an das Gute im Menschen stärkten. Auch wenn es sich um fiktive Figuren handelt, die – wie ich heute weiß – allenfalls leichte Ähnlichkeiten mit historischen Gestalten haben und nicht die wahren historischen Verhältnisse der Ureinwohner Nordamerikas widerspiegeln, so findet sich doch ein wahrer Kern in den Figuren und Geschichten. Diesen wahren Kern erfassen das sehr schön aufgemachte Buch und die beigegebene CD »Die Erde ist uns heilig. Worte großer Häuptlinge« (Patmos). Zusammengestellt und historisch sorgfältig mit Einführungen abgefasst vom mehrfach preisgekrönten Literaturwissenschaftler William Arrowsmith (gestorben 1992); gelesen von Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor Konstantin Wecker sowie der Opernsängerin und renommierten Gesangspädagogin Angelika Kirchschlager – beide ebenfalls mehrfach preisgekrönt. Angelika Kirchschlager bietet die Einführungen zum Verständnis und zur Einordnung der Häuptlingsreden, Konstantin Wecker die Reden und die kleinen Instrumentals zwischen den Kapiteln. Die Übersetzung aus dem Amerikanischen besorgte Michael Korth, der ein Experte für die Musik des Mittelalters und Herausgeber von Werken großer Dichtersänger ist. Die Naturfotos von Roland Höpker geben dem Buch eine naturspirituelle Note. Das Buch ist die dritte Version einer zuerst 1984 bei Trikont, 1995 bei Heyne im Taschenbuchformat erschienenen Fassung. Der Inhalt hat jedoch erst in der jetzigen Fassung von Patmos mitsamt der edierten CD ein außergewöhnliches Format erreicht. Dabei ist der Inhalt für mich gleichermaßen spirituell wie bitter, ansprechend wie traurig. Denn es geht um die Vernichtung der Ureinwohner Nordamerikas durch die weißen Siedler aus Westeuropa: »Riecht nicht der weiße Mann nach Tod?«, fragt Häuptling Charlot, dessen Volk von den Weißen um seine verbrieften Rechte betrogen und letztlich kulturell vernichtet wurde. Da Charlot im Kontakt mit der Jesuitenmission im Lauf der Zeit über den Zwiespalt der christlichen Verkündigung und den Taten der Weißen sehr verbittert und erschrocken war, resümiert er: »Der weiße Mann kennt kein Erbarmen.« Und weiter: »Der weiße Mann sagt, der Indianer sei schlecht. Wird er je von seinen eigenen Verbrechen erzählen? Nein, Verbrechen, die er den Indianern angetan hat, werden nie erzählt. Er ist der Zerstörer, doch immer wieder schreit er, dass ein paar Indianer eine Gefahr für ihn sind.« Bitter ist, wie bis heute Ureinwohner Nord- und Südamerikas stigmatisiert und marginalisiert werden, im Brasilien Bolsonaros um ihr Land und ihre gedeihlichen Lebensumstände im Regenwald gebracht werden. Dass die »Erde heilig ist« und auch der Mensch, provoziert bei mir sofort Kritik und Selbstkritik an dem, was wir mit Menschen und der Erde machen. Die Häuptlingsreden lese ich also auch symbolisch und in Stellvertretung für alle, die zu Minderheiten, Unterworfenen und Betrogenen gemacht wurden, die auf der Strecke blieben und bleiben. Neben der weithin bekannten Rede des Häuptlings Seattle, die in dieser Ausgabe historisch-kritisch korrekt eingeordnet wird, ist auch die berühmte Rede des Häuptlings Chief Joseph zu lesen, die letzte in diesem Buch: »Wir verlangen, als Menschen anerkennt zu werden.« In ihr beschreibt er die Unterdrückung und Vernichtung der Ureinwohner durch die weißen Westeuropäer. Es war nicht der erste Genozid der Geschichte. Doch der Krieg gegen »Mutter Erde« ist der längste, den ich kenne. Dennoch wird er mir den Glauben an das Gute im Menschen nicht nehmen.
Norbert Copray ist geschäftsführender Direktor der Fairness-Stiftung. Er leitet seit 1977 das Rezensionswesen von Publik-Forum.
