Ein Buch fürs Leben …
Ein Wundertext

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Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, – so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr«; dieses Gedichtgebet hat mich ergriffen seit vielen Jahrzehnten. Es hängt in Bronze neben meiner Wohnungstür; es singt still in meinem Herzen. Und trägt mich. Ein Wundertext, der mich tief anrührt. Das Gedichtgebet ist weltberühmt. Es kann zu jeder Tages- und Nachtzeit und an allen Orten der Welt gebetet und gesungen werden. Ersonnen, erspürt hat es Dietrich Bonhoeffer inmitten der tristen Umgebung des Gestapo-Gefängnisses. Er schreibt es am 19. Dezember 1944 im Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer als »Weihnachtsgruß für Dich u. die Eltern u. Geschwister«, die sich nach der Verhaftung von Bonhoeffer und bis zu seiner Hinrichtung nie wieder in Freiheit sahen. Dieses Gedichtgebet ist für mich heftig und tiefgründig, sodass ich schon beim Drandenken umfassend berührt bin. Bonhoeffer war lutherischer Theologe, Pfarrer, profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche und aktiv im deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er wurde am 5. April 1943 verhaftet und zwei Jahre später auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers als einer der letzten Nazi-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, hingerichtet. Die evangelische Pfarrerin, die auch Mitglied der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft ist, Jutta Koslowski, hat mit genau passenden Texten und Textauszügen sowie den Bildern des 2004 gestorbenen, preisgekrönten Malers Oskar Koller einen Bonhoeffer-Bild-Text-Band zusammengestellt, in dem für mich die ganze Hoffnung von Bonhoeffer mitschwingt – und seine Spiritualität. (Von guten Mächten umgeben – D. Bonhoeffer – Ein Mensch – ein Gedicht – eine Geschichte – mit Bildern von Oskar Koller. Präsenz-Verlag, 64 Seiten). Das Gedichtgebet hat sieben Strophen, wird gut präsentiert und auch in die Theologie Bonhoeffers, seine Situation eingebettet, ohne das Buch zu überladen. Immer wieder in Verbindung mit den zarten Aquarellen von Koller, die das Buch einer reinen Zwecknutzung entwenden und zum Innehalten einladen. Texte von Verwandten und Freunden Bonhoeffers vermitteln eine Ahnung vom tiefen Glauben. So wie auch die Vertonung des Gedichtgebets, die der Komponist und Musiker Siegfried Fietz gefunden hat und die mit Noten abgedruckt ist. Reaktionen auf das Gedichtgebet – unter anderem von Konstantin Wecker – runden das Buch ab, wobei der Theologe und Journalist Andreas Malessa zu berichten weiß, dass Bonhoeffers Vater die Mörder seines Sohnes kennengelernt hat. »Es macht mir Gänsehaut und einen Kloß im Hals«, schreibt Malessa, als er das erste Mal den Originaltext des Gedichtgebets auf Bonhoeffers Briefpapier sieht. Bonhoeffer hätte in New York in Sicherheit leben und lehren können, doch er fuhr mit einem der letzten Schiffe nach Deutschland zurück, weil er sich an den Vorbereitungen einer zukünftigen Gesellschaft beteiligen wollte, was aus seiner Sicht nur ginge, »wenn er seinem Land in der Zeit größter Not nicht den Rücken kehrte«. Was ein Vorbild für mich – und vielleicht auch für andere.
Norbert Copray ist
geschäftsführender
Direktor der
Fairness-Stiftung.
Er leitet seit 1977
das Rezensionswesen
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