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Als lebte ich geschützt und geborgen auf einer Insel

vom 08.05.2020
von Brunhilde Herrmann, Scheeßel

In meinem Leben habe ich schon immer zu besonderen Zeiten Tagebuch geführt, in schönen und schweren Tagen. So liegt es nahe, sich auch in diesen außergewöhnlichen Wochen Notizen zu machen.

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Um uns herum scheint die Welt in Unruhe und Ängsten zu sein. Ich fühle mich schon seit den ersten Tagen der Pandemie im März, als lebte ich auf einer Insel. Mein Mann und ich haben das Glück, in einem alten Haus mit vielen Räumen und einem großen Garten zu leben. Diese Insel bietet uns Schutz und Geborgenheit. Außer unseren körperlichen Beeinträchtigungen, dem Alter von achtzig Jahren gezollt, geht es uns sehr gut, gemessen an der Not und dem Elend in der Welt.

Wir gestalten jeden Tag neu, beginnen mit einer Andacht und singen die vorgeschlagenen Lieder. In den ersten Tagen der Krise haben wir die Melodien auch vor der Haustür oder im Garten gesungen und geflötet, bis wir sahen, dass die Nachbarinnen Türen und Fenster öffneten, winkten und fröhlich grüßten. Die Enkelkinder, die in der Nähe wohnen, haben Semesterferien. Sie fragen nach unseren Wünschen und besorgen, was wir für das tägliche Leben brauchen. Unsere Töchter nähten für uns Schutzmasken, und in der ersten Woche brachte der Sohn Tagesmasken vorbei.

Wir genießen die Entschleunigung. Im vergangenen Jahr haben wir uns aus allen selbst gewählten Aktivitäten und ehrenamtlichen Tätigkeiten zurückgezogen. Das waren zum Beispiel Dienste in der Kirchengemeinde, im Altersheim, bei der Tafel und bei der Flüchtlingshilfe. So war es um uns schon ruhiger geworden. Wir genießen das und fühlen uns von Druck und Stress befreit. Wir begrüßen die äußere und innere Ruhe, denn sogar die Unruhe vom Straßenverkehr ist zurückgegangen. In diesen stillen Stunden im Haus finden wir Zeit und Muße zum Lesen, Schreiben, Malen und Werken. Regelmäßig führen wir Gespräche mit unsern drei Kindern und vier Enkeln, mit Freunden und Verwandten. Besonders denken wir an die Kranken und Alleinlebenden. Nach fünf Wochen Corona-Zeit haben wir die kurdische Familie aus dem Irak, die wir seit drei Jahren betreuen, eingeladen, damit die drei Kinder einmal wieder in unserem Garten spielen und toben können. Die Jungen wollen am liebsten »arbeiten«, »Oma und Opa« im Garten helfen: Kompost sieben, Holzspäne auf den Wegen verteilen und gießen. Das ist der größte Spaß! Mit kleinen grünen und blauen Kannen schöpfen die Jungen Regenwasser aus großen Tonnen und laufen durch den Garten, bis nicht nur die Blumen nass sind, sondern auch ihre Hosen und Schuhe. Ihr Lachen und Tollen ist auch unsere Freude.

Ich glaube, wir können mit der besonderen Situation dieser Tage gut umgehen, weil wir die Abgeschiedenheit erlebt haben. In der Zeit der Berufstätigkeit meines Mannes brauchten wir in den Ferien Erholungszeit mit Langzeitwert. Wir hatten das große Glück, in Schweden einen Freund zu finden, einen Deutschschweden, der in Bessarabien geboren ist wie mein Mann.

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Durch seine Vermittlung wohnten wir viele Sommer wochenlang in einem Sommerhaus in großer Einsamkeit, ohne Strom, Wasser und Telefon. Ringsum nur herrliche Wälder und Seen. Lebensmittel und Trinkwasser gab es im Ort in 25 Kilometern Entfernung. Dort in der Einöde tankten wir regelmäßig auf. Wir lernten, mit dem Alleinsein und der Stille umzugehen und uns von der Natur beschenken zu lassen. Bei Spaziergängen hörten wir nur unsere Schritte auf dem Kiesweg knirschen, und das Rauschen der Wälder am anderen Seeufer klang wie fernes Zugfahren. Wir lebten mit dem Wald und von dem Wald, denn Beeren und Pilze fanden wir reichlich, und der See spendete uns Fisch. Abends schauten wir stundenlang der untergehenden Sonne zu und bestaunten den leuchtenden farbenprächtigen Himmel. Die Stille um uns herum konnte man »abbeißen«.

Uns wurde in jenen Tagen in Schweden viel geschenkt, und dieses angenehme Gefühl, im Inneren zur Ruhe zu kommen, erlebe ich auch jetzt zur Zeit von Corona.

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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

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