Roman: Andrea Sawatzki
Voller Wut und Hass, Respekt und Liebe

Roman. Der französische Badeort Biarritz spielt in diesem Roman von Andrea Sawatzki vor allem symbolisch eine Rolle als Ort der Sehnsucht. In einem Urlaub erlebte Emmi hier einst einen Moment von Leichtigkeit, Lebensfreude und Freiheit. Heute ist sie über 80 Jahre alt, dement und lebt im Pflegeheim. Ihre Tochter Hanna, die Ich-Erzählerin des Romans, besucht sie regelmäßig, vor allem aus Pflichtgefühl, wie es scheint. »Seit zwei Jahren starrte sie inzwischen vor sich hin, hockte vornübergebeugt in ihrem Rollstuhl, konnte kaum den Kopf heben, wenn ich vor ihr stand, um meinen wöchentlichen Besuch zu absolvieren. […] Ich hatte mich in den letzten Jahren darauf beschränkt, sie nur noch an den Sonntagen zu besuchen.«
Die auch als Schauspielerin bekannte Andrea Sawatzki schreibt hier nah an ihrer eigenen Lebensgeschichte über die von widersprüchlichen Gefühlen geprägte Beziehung zwischen Tochter und Mutter. Wie konnte es dazu kommen, dass die Ich-Erzählerin eine bedrückende, von Verlassenheit und Überforderung geprägte Kindheit und Jugend erlebte? Dabei hat Sawatzki auch die gesellschaftlichen Verhältnisse im Blick und zeigt das Leben einer zunächst alleinstehenden, später verheirateten Frau in den 1960er- und 1970er-Jahren in Deutschland.
Sawatzki schreibt in kurzen treffenden Sätzen, oft in lakonischem Ton. Schonungslos berichtet sie auch über Wut und Hass, über ihr schlechtes Gewissen und die Hilflosigkeit angesichts der Überforderung durch die Pflegebedürftigkeit zuerst des Vaters und jetzt der Mutter. Und doch ist ihre suchende Annäherung an die Mutter geprägt von Respekt und Liebe. Denn »Biarritz« ist auch eine Liebeserklärung – an die Frau, die auf ihre Weise viel dafür getan hat, damit ihre Tochter ein erfüllteres Leben haben möge.
? Andrea Sawatzki: Biarritz. Piper. 160 Seiten. 22 €




