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Elske und Rudi

vom 29.04.2020
von Wolfgang Heger

Meine erfundene Geschichte handelt von dem kleinen Dörfchen Pumuckelshausen im Osterland. Viel Streit gab es dort nach dem Zerfall der DDR. Aber endlich waren die Missverständnisse und Konflikte zwischen den Häuslern Rudi und Elske sowie der Gärtnerei Grünspan bereinigt, und man wollte ein Versöhnungsfest feiern.

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Da fiel die Kunde wie ein Hammer auf die Dörfler: Eine schwere Grippe aus China hätte sich in Windeseile über die ganze Welt ausgebreitet, weshalb die Regierung ab sofort Abstand zwischen allen Bürgern fordere. Fröhlich vor sich hin trällernd ging Elske, die davon nichts erfahren hatte, auf ihrem gewohnten Weg ins Dorf, um zwei alte Damen zu besuchen und mit ihnen über Gott und die Welt zu schwatzen. Jedoch keine von ihnen empfing sie, sondern sie wedelten mit roten Tüchern und scheuchten Elske davon. Einen weiteren Versuch zu einem Schwatz startete sie und huschte in den Dorfkonsum, um Schlüpfergummi zu kaufen. Aber auch hier bekam sie eine Abfuhr, denn man dürfe nur noch Lebensmittel und auch Wein, aber keine Bücher und Kurzwaren verkaufen.

Völlig erschöpft und ratlos setzte sie sich an eine Frühlingswiese, wurde aber ziemlich bald vom Polizisten hochgejagt. Sie solle sofort nach Hause gehen, denn Spaziergänge für Senioren im Dorf seien verboten. Ihre Einkäufe würden ab sofort von der Volkssolidarität oder der Jungen Gemeinde erledigt, natürlich ohne Sonderwünsche. Ziemlich erschrocken schlich sie zurück zu Rudi und berichtete von den verwirrenden Neuigkeiten.

Er kuschelte sie und sauste bald mit seinem Rad auf Nebenwegen ins Dorf, um Näheres zu erfahren. Fahrräder schienen nicht verboten zu sein, sodass er recht schnell bei einer befreundeten Pastorin aufkreuzte. Dort erfuhr er, dass der Bürgermeister am Abend im Kulturhaus die einzelnen Maßnahmen erläutern würde. Was sie wisse, sei ziemlich schockierend, denn selbst Gottesdienste, Chorkonzerte und Orgelabende seien verboten, mehr als zwei Personen nebeneinander gälten als Zusammenrottung und seien eines Bußgelds verdächtig.

Die Erläuterung am Abend hörte sich besonders für die Älteren sehr beängstigend an. Sie seien im Gegensatz zu den Kindern besonders gefährdet und hätten ab sofort Hausarrest. Der körperliche Kontakt zu Kindern und Enkeln sei zu unterbinden. Das traf Elske aufgrund ihrer Erblindung sehr hart, denn sie war auf Gespräche und körperliche Kontakte angewiesen. Besonders die kleinen Kinder fehlten ihr, denn für sie war sie eine gefragte Erzählerin von Geschichten und eine fröhliche Zuhörerin.

Als Rudi zurückkam, versuchte er, sie zu beruhigen und erinnerte an ihren Einfallsreichtum und seine Pfiffigkeit, mit denen sie ihre Probleme noch immer gelöst hätten. Mit seinem Fahrrad würde er gut, natürlich ohne Leichtsinn, durch alle Lücken huschen, und er fuhr auch sogleich los. Aber keiner kaufte einem Senior Kartoffeln ab, keinen Schnittlauch, kein Töpfchen mit Basilikum; keine Nachbarin bestellte sich einen Bund Petersilie oder Radieschen. Die Biomilch durfte er, weil nicht ökofiziert, an das Heim nicht mehr verkaufen.

Ziemlich ratlos und mit hängenden Schultern kam er zurück. Zwar mussten sie mit ihren Renten nicht verhungern, aber sie fühlten sich ausgeschlossen. Trotz ihres Alters wollten sie ja noch etwas tätig sein und anderen helfen. »Nein, das mache ich nicht alles so mit«, sagte Rudi trotzig seiner Elske und begann sich als Erstes die Haare braun zu färben. Mit weißer Farbe malte er auf sein schwarzes T-Shirt das Motto: »60 Jahre und kein bisschen weise«. Zuletzt borgte er sich bei der Grünen Liga ein Lastenfahrrad und baute es zu einer Fahrradrikscha um, damit er Elske mit ins Dorf nehmen konnte. Am Fahrrad brachte er links und rechts uralte Traktorwinker an.

So fuhren sie auf den kleinen Gemüsemarkt und verkauften ihre bescheidenen Produkte gleich aus dem Wägelchen, sehr zur Freude der Dörfler. Elske verkaufte Eier und verschenkte gehäkelte Eierwärmer sowie Daumenpüppchen. Auf dem Rückweg hängten sie den ganz Alten bunte Beutel mit Tee, Kräutern und Wintermöhren an die Haustüre.

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Wieder zu Hause, schraubte Rudi auf seinen Gartenzaum ein ellenlanges Brett, alle zwei Meter von einem bunten Untersetzer aus Plaste unterbrochen und mit Sammeltassen der Großmutter bestückt, und lud zu einem Zaungespräch ein. Bewaffnet mit Mundschutz, das war inzwischen beschlossen, wackelten die alten Damen und Herren zu Rudi und Elske. Neun von zehn waren gekommen. Wie üblich brachte jeder etwas mit, einer eine Tüte verzinkte Schrauben für Rudi, für Elske Strick- und Häkelwolle. Manche brachten schrumpelige, aber noch wohlschmeckende Äpfel aus der letzten Ernte mit, eine andere verschenkte Töpfchen mit Kohlrabisetzlingen, einer hatte eine Mundharmonika und selbst abgetippte Osterlieder, ein Karton mit buntem Faltpapier fehlte nicht und zuletzt ein Beutel mit alten Ostereierfarben und ausgeblasenen Eiern.

Alle wussten, dass Elske hervorragend sorbische Ostereier verzieren konnte. Diese Kunst hatte sie von ihrer Großmutter gelernt und sie würde bestimmt mit den Besuchern batiken. Rudi hatte die Schnauze einer uralten Kaffeekanne mit einem schicken Kupferrohr verlängert und goss mit einem Meter Abstand allen Leutchen Kaffee ein. Milch war schon drin. Wer kein Kaffeesachse war, hatte Pech. Alle nahmen nun die Masken ab, denn alte Menschen sind diszipliniert und bleiben erst mal am angestammten Platz sitzen.

Freudig wurde die Pastorin von Christen wie Nichtchristen begrüßt. Die Kirche hatte es in der Zeit der Kontaktverbote besonders schwer, denn sie wollte sich auf Jesus berufen: »Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, will ich mitten unter ihnen sein.« Und genau dies wurde ihr untersagt, wie immer natürlich begründet. Die Kirche lebt nur von und mit Menschen und Jesus in den Herzen. Die Pastorin freute sich, dass Rudi und Elske eine schöpferische Zusammenkunft erfunden hatten, schmunzelnd und fantasievoll Menschen zusammengeholt hatten, die theoretisch im Kämmerlein sitzen sollten, aber bitte nicht traurig. Sie wollte zur Krise neue Gedanken hören und auch über eine ihrer Ideen reden.

Am Ostersonntag wolle sie zum Sonnenaufgang alle Bürger an die Kirche einladen, zu einem Spaziergang durch ihren Gethsemanegarten, kein Gottesdienst! Zwei Meter Abstand würden eingehalten, wie oft muss man das noch sagen; Liederzettel würde sie vervielfältigen; jeder solle sich einen Klapphocker, eine Wasserflasche und eine Mütze gegen die Sonne mitbringen. Sie habe schon eine Kurzansprache im Kopf, die handele von dem fremden Wort Auferstehung.

Die Begleiterinnen und Freunde Jesu waren von dessen Ermordung erschüttert und völlig aus der Bahn geworfen. Seine Predigt von Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen war für sie so umwerfend und hatte sie ergriffen. Und nun war alles aus, sodass sie davonliefen. Auf wundersame Weise verschwanden Jesu Gedanken aber nicht, sondern blieben bei vielen, besonders Frauen, haften. Davon erzählten sie ziemlich bald voller Begeisterung und konnten sich dies nur als Auferstehung von Jesu Idee und geistlicher Person erklären.

Diese Geschichte verlockte die Dörfler so sehr, dass eine große Zahl Ostern zur Kirche kamen und sich von der Osterfreude anstecken ließen. Begeistert sangen sie, wie seit vielen Jahren nicht mehr, Kirchen- und Frühlingslieder. Die Pastorin trug ihre Geschichte vor und zum Schluss einen Witz, um den Teufel und Corona auszulachen. Danach zogen viele Familien zum alten Apfelbaum zwischen Grünspans Gärtnerei und dem Anwesen von Elske und Rudi, an dem schon die große Stehleiter lehnte. Grünspan kletterte hinauf und ließ die bemalten Eier über eine Rolle mit Seil von Elske und Rudi hochleiern, ohne direkte Berührung mit den Händen. So gelang doch noch das lange geplante Versöhnungsfest.

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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

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Schlagwort: Kirche von unten
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