Zur mobilen Webseite zurückkehren
Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 15/2022
Der Inhalt:

»Rufmord an den Juden«

vom 05.08.2022
 (Foto: EPD-Bild/Norbert Neetz)
(Foto: EPD-Bild/Norbert Neetz)

Was soll geschehen mit der »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, jener judenfeindlichen Schmähplastik in vier Metern Höhe an der Außenwand des Gotteshauses, in dem einst Martin Luther predigte? Das Bildnis, das unter anderem den für Juden unaussprechlichen Namen Gottes verspottet und Menschen in jüdischer Tracht zeigt, die an Zitzen einer Sau saugen, soll abgenommen werden, forderte ein jüdischer Kläger. Im Juni entschied der Bundesgerichtshof, das mittelalterliche Sandsteinrelief dürfe bleiben: Eine mahnende Bodenplatte und eine Informationstafel beseitigten den beleidigenden Charakter der Darstellung.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 15/2022 vom 05.08.2022, Seite 42
Der Riss ist tief
Der Riss ist tief
Wie Betroffene von Missbrauch die falschen Gewissheiten der Kirchen entlarven
4 Wochen freier Zugang zu allen PF+ Artikeln inklusive E-Paper

Nun aber empfiehlt ein vom Gemeindekirchenrat einberufenes Expertengremium, das Relief abzunehmen und in einem eigenen Raum in der Nähe der Kirche zu präsentieren. Und Jörg Bieling, der Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, sagt dem Evangelischen Pressedienst: »Die Abnahme ist für uns kein Tabu.« Bislang war der Gemeindekirchenrat für den Verbleib der Schmähplastik, als »Dokument der Zeitgeschichte« und Mahnmal, wie es in einer Stellungnahme heißt, gemeinsam mit dem 1988 gesetzten Denkmal, einer Zeder aus Israel und einer Erklärtafel.

Anzeige

Publik-Forum EDITION

»Das Ende des billigen Wohlstands«

Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr

Das Expertengremium, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der evangelischen Kirche, des Judentums und des Landes Sachsen-Anhalt, kommt nun nach fast zwei Jahren Beratungen zu einem anderen Ergebnis. Es soll »das Schandbild nicht mehr an seinem bisherigen Ort zu sehen sein«, schreibt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der evangelischen Kirche und Mitglied des Gremiums, in der Online-Präsenz des Magazins Chrismon, »denn es ist eine Schmähung jüdischer Menschen und zugleich ein Sakrileg, nämlich eine Beleidigung des Gottesnamens«. Das Relief solle aber auch nicht einfach in einem Museum verschwinden, sondern »in unmittelbarer Nähe auf andere Weise zu sehen sein. Denn die Auseinandersetzung darf nicht aufhören.« Auch Andreas Nachama, der als Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz im Expertengremium vertreten ist, hatte sich öffentlich für die Abnahme der Schmähplastik ausgesprochen.

Ende August will nun der Wittenberger Gemeindekirchenrat über die Empfehlung der Experten beraten. Eine schnelle Entscheidung werde es wohl nicht geben, sagt Jörg Bieling; die Stadtkirche gehöre immerhin zum Unesco-Weltkulturerbe. Allerdings hat das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie bereits erklärt, man habe sich zwar für den Verbleib des Reliefs ausgesprochen, werde sich aber auch nicht einer Überführung an einen Lernort verschließen. Unterdessen hat Michael Düllmann, der als Kläger die Debatte angestoßen hat, den Gang zum Bundesverfassungsgericht angekündigt. Das Relief sei ein »Rufmord an den Juden«.

Kommentare und Leserbriefe
Ihr Kommentar
Noch 1000 Zeichen
Wenn Sie auf "Absenden" klicken, wird Ihr Kommentar ohne weitere Bestätigung an Publik-Forum.de verschickt. Sie erhalten per E-Mail nochmals eine Bestätigung. Der Kommentar wird veröffentlicht, sobald die Redaktion ihn freigeschaltet hat. Auch hierzu erhalten Sie ein E-Mail. Siehe dazu auch Datenschutzerklärung.

Mit Absenden des Kommentars stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten zur Bearbeitung des Kommentars zu. Zum Text Ihres Kommentars wird auch Ihr Name gespeichert und veröffentlicht. Die E-Mail-Adresse wird für die Bestätigung der Bearbeitung genutzt. Dieser Einwilligung können Sie jederzeit widersprechen. Senden Sie dazu eine E-Mail an [email protected].

Jeder Artikel kann vom Tag seiner Veröffentlichung an zwei Wochen lang kommentiert werden. Publik-Forum.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus anderen Gründen inakzeptabele Beiträge nicht zu publizieren. Siehe dazu auch Netiquette.