Vor dem Altar erschossen
Die Jesuiten Javier Campos (79) und Joaquin Mora (81) waren beliebte Seelsorger in Cerocahui, einer Kleinstadt in der Bergregion im Norden von Mexiko. Ersterer wurde aufgrund seiner fröhlichen Art und weil er den Hahnenschrei so gut imitieren konnte El Gallo (der Hahn) gerufen. Mora galt hingegen als ruhiger Typ, der die Sprache der Indigenen studierte, sich der Missionierung verschrieben hatte und gemeinsam mit Campos für friedliche Strukturen in einer seit Jahren vom Bandenkrieg geprägten Region eintrat. Am 20. Juni wurden die beiden erschossen, nachdem sie – so der Jesuitenorden – dem örtlichen Touristenguide Pedro Palma in der Kirche Schutz gewährt hatten. Dieser war auf der Flucht vor bewaffneten Verfolgern, mutmaßlich aus der Drogenmafia. Der brutale Dreifachmord vor dem Altar erschüttert das ganze Land. Die Staatsanwaltschaft setzt umgerechnet 240 000 Euro Belohnung für Hinweise aus, die höchste Summe in der Geschichte des Bundesstaates Chihuahua. Zur Beisetzung, die sowohl katholische wie indigene Zeremonien enthielt, waren Hunderte nach Cerocahui angereist. Und die Regierung von Präsident López Obrador muss sich die Frage gefallen lassen, ob die »Strategie der Umarmung« gegenüber den Kartellen richtig ist oder im Gegenteil ein Freibrief für deren Gewalt. So sieht es etwa Kardinal José Robles Ortega aus Guadalajara: »Diese Leute kennen keine Umarmungen, egal wie viele ihnen die Regierung anbietet und verspricht. Sie kennen nur Kugeln.« Die Kritik ist nicht unberechtigt. Denn mit dem Mord an den beiden Padres steigt die Zahl der ermordeten Priester in Mexiko auf 50 – binnen 18 Jahren. Omar Sotelo, Leiter des »Katholischen Multimedia Zentrums« in Mexiko-Stadt, dokumentiert die Bedrohung, Verfolgung und Ermordung von Geistlichen zwischen Ciudad Juárez im Norden und Ciudad Hidalgo ganz im Süden. »Hinter der Gewalt gegen Priester steckt Kalkül, denn es sind katholische Priester, die auch im letzten Zipfel des Landes präsent sind, sich engagieren, wo der Staat oft schon lange nicht mehr präsent ist«, erklärt Sotelo. Die Geistlichen erführen – über die Beichte ebenso wie über den Alltag –, was in den Regionen läuft, die unter der Kontrolle der Drogenkartelle stehen. Und viele schweigen nicht.
Es sind vor allem zwölf Kartelle, die ihre Macht immer weiter ausdehnen. In der Region von Cerocahui ist das Sinaloa-Kartell präsent, zu dem auch der mutmaßliche Mörder der beiden Jesuiten gehört: José Noriel Portilla alias El Chueco. Bisher gibt es zwar kein Motiv für den dreifachen Mord, aber Sotelo ist sich sicher, dass allein die Anwesenheit von Priestern die Kartelle provoziert. »Priester sind soziale Stabilisatoren, sie leisten nicht nur geistlichen Beistand, sondern engagieren sich für die Menschenrechte, für Migranten, helfen bei der Gesundheitsversorgung, arbeiten mit indigenen Gemeinden«, so Sotelo. Wo ein selbstbewusstes solidarisches Gemeinwesen entsteht, haben es die Kartelle schwerer. Sie können die oftmals perspektivlose Jugend nicht so leicht für ihre Zwecke rekrutieren.
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